John Faheys Kurzgeschichten bei Suhrkamp: Zum Abendessen Frühstück
Das Zauberwort heißt Honig, unbedingt in Versalien geschrieben: zu den Kurzgeschichten des großen amerikanischen Gitarristen John Fahey, der 2001 starb.
"Eine Gitarre ist wie ein Rufer. Sie holt Gefühle aus uns heraus, von denen wir gar nichts mehr wussten." Gefühle laufen beim amerikanischen Gitarristen John Fahey (1939-2001) zuerst durch die Finger. Sie kompensieren ein ganzes Orchester. Sogar mehr als das, denn Fahey hat mit ihnen außer wundersamer Musik auch autobiografisch gefärbte Kurzgeschichten verfasst.
Darin erzählt er von Begegnungen mit "Vampirgeiern" auf dem großelterlichen Dachboden und "Alligatorhechten" beim Angeln in Tennessee. Es geht um Familienmonster aus der Kindheit, die ihm zwischen vergilbten National Geographic-Ausgaben und asbesthaltigen Dämmstoffen Klistiere verpassten, und die Folkdevils, denen er bei seiner späteren Suche "nach dem wilden Ausdruck" leibhaftig begegnete.
Leben ist für Fahey "die ewige Schlange". Ein Song, der Linearität vorgaukelt, sich aber im Kreis dreht und am Ende wieder nach dem Anfang klingt. Bis er diesen Loop vollführt, nimmt Fahey unterwegs Ideen der dunklen amerikanischen Romantik auf und tut es den umherschweifenden Beat Poets gleich, weil er, wie sie, an eine kosmische Harmonie da draußen glaubt. Die spekulativen Gedanken bringt Fahey in einer Mischung aus Peter Moosleitner-Gebrauchsanweisungssprache und Donald-Duck-Schlagfertigkeit zu Papier.
Und spinnert ist er auch noch, besonders, wenn es gilt, das Mädchen mit den orangen Haaren zu beeindrucken: "Etwas anderes hab ich damals nicht gegessen. Bloß Frühstück. Zum Abendessen. Zum Mittagessen. Und am Morgen." Wenn Fahey nicht sofort nach dem Frühstück zu Bett geht, ist er auf Sinnsuche. Als einer der Ersten forschte er in den Sechzigerjahren nach den Fundamenten des seltsamen alten Amerika und machte im Mississippidelta verschollene Bluessänger wieder ausfindig. In "Orange" werden sie wieder lebendig. Von Roosevelt Sykes lernt Fahey beim Warten vor einem Auftritt zum Beispiel die Autosuggestion. "HONIG" ist das Zauberwort, das Fahey, mit Sykes gesprochen, stets in Großbuchstaben schreibt. "Da kommt so ein Großmaul auf dich zu und sagt dir unangenehme Sachen ins Gesicht. Fang sofort an, an HONIG zu denken." Seine eigenen Songs verband John Fahey zu einer so formstrengen wie zähflüssigen Etüde aus Blues, Country und Folk. Er taufte diesen Sound "American Primitive". Fahey ist beim Schreiben so dickschädelig wie seine Musik, lieber sinniert er darüber, wie er sich mit Michelangelo Antononioni in die Wolle kriegt, als dass er einfach über die Entstehung des Soundtracks für dessen Film "Zabriskie Point" erzählt. Wahrscheinlich dachte er an HONIG, als er für Antonioni "wüstenhafte Tod-und-junge-Liebe-Musik" komponierte. JULIAN WEBER
John Fahey: "Orange. Neue Erzählungen aus den Vorstädten", Aus dem Amerikanischen von Karl Bruckmaier. Suhrkamp, Frankfurt a.M, 2008, 272 Seiten, 12 Euro.
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