Jörn Kabisch über Höchstwerte für Glutamat: Der Ruf ist längst ruiniert
Mit dem Glutamat ist es wie mit der Luft. Der Mensch kann nicht anders, als sie zu atmen. Und so ist es auch mit dieser verteufelten Aminosäure. Homo sapiens ist verurteilt, sie sich einzuverleiben. Glutamat ist natürlicher Bestandteil unserer Nahrung, von der Muttermilch an, in der es sogar in hohen Konzentrationen vorkommt, außerdem in Käse und Tomaten, in Nüssen und Getreide.
Wie kann man bei einem so omnipräsenten Stoff darauf kommen, Höchstwerte einzuführen, wie das die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, kurz Efsa, nun getan hat? Ganz einfach: Die Nahrungsindustrie hat, bleiben wir beim Atemvergleich, quasi die Zusammensetzung der Luft verändert. Es ist, als ob der Sauerstoffanteil leicht erhöht worden sei. Das braucht kein Mensch, wir sind für das Leben in der irdischen Atmosphäre und der dazugehörigen Geschmackswelt im Lauf der Evolution perfekt ausgestattet. Für die Industrie und im Übrigen auch schlechte Köche hat die Zugabe von künstlichem Glutamat einen Vorteil: Weil auf der Zunge Geschmacksrezeptoren sitzen, die direkt auf den Stoff anspringen und das Signal „lecker“ ans Gehirn senden, können sie mit der Zugabe etwas weißen Pulvers auch Pappe appetitlich erscheinen lassen. Umami nennt man diesen Geschmackssinn.
Letztendlich aber macht die Efsa mit ihren Empfehlungen nur einen Schritt, den viele Verbraucher bereits getan haben, die einfach stinknormale Luft atmen wollen, sprich: Essen ohne extra Glutamat. Schon seit Jahren steht dieses so in der Kritik wie kaum ein anderer Nahrungsbestandteil. Die Industrie hat darauf reagiert – und wirbt inzwischen mit der Aufschrift „ohne Geschmacksverstärker“, sogar auf Tierfutter.
Im Kleingedruckten taucht Glutamat meist nicht mehr auf. Es versteckt sich hinter einem unverfänglicheren Begriff. Mit der Efsa-Entscheidung wird es Zeit, dass nun endlich auch dieser Etikettenschwindel abgestellt wird: Kampf dem „Hefeextrakt“!
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