Jörg Immendorf: Das Sehen nach den Nachruf-Phrasen
Affig: Das Bremer Museum Weserburg zeigt die erste Ausstellung nach dem Tod des Malers Jörg Immendorffs, die als Werkschau durchgehen kann.
T od macht Pathos. Pathos macht kurze Sätze: "Jetzt sind wir allein. Immendorff fehlt. Er hinterlässt eine Lücke. Einen abgründigen Spalt. Einen tiefen Raum", stanzt Carsten Ahrens, Direktor des Weserburg-Museums im Katalog zur Ausstellung "Jörg Immendorff. weiter glühen", die nun in Bremen eröffnet wurde. Sie sei, heißt es weiter, "seit langem projektiert", und nun "ungewollt die erste Präsentation des Werkes nach dem Tod des Künstlers". Was, selbst wenns denn stimmen würde, ein Reklame-Satz wäre: Pathos ist gut für Werbung.
Das Beharren, erster posthumer Aussteller zu sein - man kann das für eine unappetitliche Masche halten. Allerdings passt die vortrefflich zu Immendorffs eigener lautstarker Manier: Es geht um Aufmerksamkeit für Kunst, die schließlich was zu sagen hat. Es geht darum, ihr, das hat man in Bremen ganz wörtlich genommen: einen roten Teppich auszurollen. Und eine glatte Lüge ist die Behauptung ja nun auch wieder nicht. Wahr ist, dass "weiter glühen" wirklich als Retrospektive des Gesamtwerks durchgeht, während sich sowohl die am 6. Juli in der Mainzer Rheingoldhalle eröffnete, laut Veranstalter "weltgrößte" Immendorff-Schau, als auch die des Oldenburger Horst-Janssen-Museums, die bereits seit Pfingsten läuft, ganz aufs grafische Oeuvre beschränken.
In Bremen dagegen werden gezeigt: Werke aller Schaffensperioden bis hin zu den späten, am Rande des Gegenständlichen lavierenden Pferdeköpfen. Man präsentiert aus der sogenannten Lidl-Phase - Lidl ist, Ende der 1960er-Jahre, noch ein Null-Name, sinnlos wie Dada - zwei obszöne Sperrholzbabys, zwei Meter groß, dicker als Buddha und süßlich grienend im Schneidersitz, eins braun, eins gelb. Gezeigt werden Gemälde des "Café Deutschland"-Zyklus. Im Stadtraum platziert sind zwei eigens gegossene monumentale "Affentore" von 2006, am Bahnhof das eine, vor der Sparkasse das andere. Im Museum hat man anderthalb Dutzend goldene Äffchen aufgestellt - die "Freunde der Akademie" von 2002 - und, ja doch: Das fast noch zum Agit-Prop gehörende Ölbild "Neuer Krieg Neue Kunst" von 1974 wird auch präsentiert. Und patinierte Bronzen. Und fünf "Malerbienen"-Siebdrucke aus dem Jahr 2000. Macht insgesamt: 54 Werke, zusammengetragen und zur Verfügung gestellt von zwei Bremer Privatsammlern. Die, psscht!, nicht genannt sein wollen. Schließlich ist man Hanseat.
Kurz nach dem Tod: Wahrscheinlich ist das der ungünstigste Zeitpunkt, eine Werkschau zu zeigen. Nicht von den Besucherzahlen, beileibe nein, und die Weserburg kann Zustrom gebrauchen - im Frühjahr machten Gerüchte über eine drohende Insolvenz des Museums für Gegenwartskunst die Runde, der Geschäftsabschluss 2006 mit 200.000 Euro im Soll. Aber fürs Schauen: Erst einmal muss die Nekrolog-Soße aus dem Hirn gewrungen werden, dann die Pietät besiegt, die nichts, wenn nicht Gutes, zu sehen zulässt. "Für mich ist völlig klar", sagt Ahrens, aber er ist ja auch der Kurator, "dass seine Arbeiten weiter leben." Nur, um das zu können, müssen sie über die Netzhaut in den Kopf vordringen, wo auch die Phrasen wohnen.
Wirklich gut an Immendorff ist: Bei ihm liegen die Werkzeuge, um die Tünche abzukratzen, oft in den Gemälden und sonst wenigstens direkt daneben: "Das Bild muss die Funktion der Kartoffel übernehmen", zitiert sich Immendorff zum Beispiel in einer Dokumentation eines Lidl-Happenings. Und das ist ein guter Leitsatz, um wieder zum Sehen zu kommen. Denn grob wie Knolle ist der Strich, und vulgär wie Kartoffeln sind die Farben, wenn auch nicht spießig, sondern eher wild. Und ist nicht das Repertoire an Formen, Chiffren erschütternd plump, und sind nicht die Motive fürchterlich alltäglich?
Da ist zum Beispiel: der Affe. Wann genau ist Immendorff auf den Affen gekommen? Keine Ahnung. Spielt auch keine Rolle, denn ein abgedroscheneres Bild als den Affen als Eben- und Ersatzbild des Menschen, als Spiegelung des Ich wird man sich auch damals kaum haben vorstellen können. In der Bremer Ausstellung jedenfalls stammt der älteste aus dem Jahr 1990, Öl auf Leinwand, die Rückansicht eines bronzefarbenen Mannes auf Ultramarin-Grund, und statt eines Kopfes ein comichafter Schimpansenschädel. Einen blauen Köcher mit grünlichem Gurt umgeschnallt. Und drinnen statt Pfeilen: Borstenpinsel.
Das ist wirklich so simpel, dass es fast weh tut. Und das, vielleicht, ist das Schöne, dass hier jeder, frei von nahezu allem Vorwissen anfangen kann, vielleicht muss, zu denken, mitzudenken - nachzudenken. Barrierefreie Kunst, Kunst für Kartoffelesser. Danach ist der Affe, das Alter Ego, der Menschenimitator und das Urbild des Künstlers, fast immer dabei, es sei denn, die auf zwei Kugeln balancierende Glücksgöttin, die Immendorff dem Renaissance-Künstler Hans Baldung Grien entlehnt, übernimmt die Hauptrolle: Bis sich schließlich, 2002, eine Kleinplastik - Bronze, vergoldet - als Synthese ergibt: ein Affe, der auf zwei Kugeln balanciert. Sie heißt Baldung und gehört zur Gruppe der "Freunde der Akademie", deren 18 Figürchen alle den Vornamen eines Künstlers tragen. In der Weserburg stehen die Äffchen im Halbkreis beieinander. Und es sieht aus, als sprächen sie miteinander. Und ganz links außen steht der Affe Jörg.
"Jörg Immendorff. weiter glühen", Weserburg, Teerhof 12, Bremen. Bis 16. September
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