Joe Biden bekennt sich zu Taiwan: Ein wichtiges Signal
Der US-Präsident verspricht, Taiwan im Kriegsfall beizustehen. Derweil wächst die Bedrohung einer chinesischen Invasion.
Zum derzeitigen Zeitpunkt kommt eine solch deutliche Aussage einer regelrechten Offenbarung gleich. Der Konflikt zwischen China und Taiwan ist so angespannt wie seit über einem Vierteljahrhundert nicht mehr. Die Zeichen, dass Peking seine Drohungen einer „Wiedervereinigung“ mit der „abtrünnigen Provinz“ auch in die Tat umsetzen könnte, haben sich zuletzt vermehrt. Die Gretchen-Frage blieb dabei stets, ob sich der demokratische Inselstaat mit 23 Millionen Einwohnern auf die US-Streitkräfte als Lebensversicherung verlassen kann oder nicht.
Die Reaktion Pekings ließ nicht lange auf sich warten. Zwar verurteilte das Außenministerium die Aussage Bidens, doch in seiner Rhetorik blieb Regierungssprecher Wang Wenbin betont sachlich: Taiwan sei eine innere Angelegenheit Chinas und „untrennbarer Teil des chinesischen Territoriums“.
Solche Standardfloskeln sind nahezu milde verglichen mit der verrohten Rhetorik, die Chinas Staatsführung mittlerweile gegen Taiwan auffährt. Die nationalistische Global Times, die im Besitz der Kommunistischen Partei ist, schrieb zuletzt in einem Tweet von der „Endlösung der Taiwan-Frage“. Und zu Beginn des Monats forderte Chinas Staatschef wiederholt den Anschluss Taiwans: „Die vollständige Wiedervereinigung unseres Landes wird und kann verwirklicht werden“.
Kampfflugzeuge im Wochentakt
Doch bei bloßen Worten bleibt es längst nicht mehr. China entsendet mittlerweile im Wochentakt Kampfflugzeuge in Richtung Taiwans, zuletzt immer öfter auch während Nachteinsätzen. Die Einschüchterungsversuche lassen sich bislang noch als rein psychologische Kriegsführung verstehen: Die Streitkräfte Taiwans sollen in konstanter Anspannung gehalten und mürbe gemacht werden.
Doch wie blitzschnell die reine Provokation zum Ernstfall werden kann, zeigte sich zuletzt am 1. Oktober. Als ein taiwanesischer Fluglotse einen eindringenden Kampf-Jet aus China anfunkte, beschimpfte der Pilot sein Gegenüber mit einer profanen Beleidigung seiner Mutter. Es braucht wenig Fantasie sich auszudenken, dass eine unüberlegte Handlung im Affekt einen militärischen Konflikt auslösen könnte.
Innerhalb Washingtons Denkfabriken wird zunehmend die Auffassung geteilt, dass eine chinesische Invasion immer wahrscheinlicher wird. Ein gängiges Narrativ beruht darauf, dass die Macht Pekings allmählich auf seinem Zenit zusteuert. Die rasante Alterung der Gesellschaft, zunehmende Haushaltsschulden und die Abhängigkeit von Energieimporten könnten schon bald zu einer deutlichen Abflachung des chinesischen Wachstums führen.
„Langfristig wäre Chinas Abstieg wohl eine gute Sache. Aber kurzfristig kreiert dies ein Jahrzehnt voller Gefahren“, schreiben die China-Experten Andrew S. Erickson und Gabriel B. Collins in einem vielbeachteten Beitrag des Magazins Foreign Policy: „Das System erkennt, dass es nur noch eine kurze Zeit hat, um einige seiner wichtigsten und lang gehegten Ziele zu erreichen“.
Zurück ins chinesische Reich
Viele europäische Diplomaten kommen zu einer anderen Einschätzung. Doch auch ihre Interpretation ist aus der Perspektive Taiwans ebenso ernüchternd: Dass Xi Jinping seine Umgestaltung der chinesischen Gesellschaft und seine aggressive Außenpolitik ohne Rücksicht auf Verluste derart rasant vorantreibt, ließe nur einen Rückschluss zu: Der 68-jährige Machthaber wolle sich noch vor seinem Ableben in den Geschichtsbüchern verewigen – indem er Taiwan wieder zurück ins chinesische Reich holt.
Militärisch wird China dazu bald die Fähigkeiten haben. Selbst Taiwans Verteidigungsminister Chiu Kuo-cheng geht davon aus, dass Pekings Volksbefreiungsarmee bis 2025 in der Lage sein dürfte, mit minimalen Verlusten eine Invasion der Insel zu starten: „Es ist die schlimmste Lage, die ich in meinen 40 Jahren im Militär erlebt habe“.
Angesichts solcher Rhetorik ist umso erstaunlicher, dass der geopolitische Konflikt im Alltag der Taiwaner kaum zu spüren ist. Die Inselbewohner haben seit Jahrzehnten gelernt, unter einer konstanten Bedrohung zu leben. Doch die scheinbare Idylle könnte trügerisch sein.
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