Jochen Schimmang liest: Von Arten des Verschwindens
Westdeutsch-linke Melancholie: Jochen Schimmang liest in Oldenburg und Hamburg aus seinem Erzählungsband „Adorno wohnt hier nicht mehr“.
Geboren wurde Schimmang 1948 in Northeim, mithin in der niedersächsischen, ach was: der alt-bundesrepublikanischen Peripherie, dem „Zonenrandgebiet“; heute lebt er in Oldenburg. Über Randlagen, und weiß Gott nicht nur geografische, hat er immer wieder geschrieben. Und einen Blick zurück warf er bereits in seinem Debütroman „Der schöne Vogel Phönix“ aus dem Jahr 1979, dem Jahr, in dem auch die taz debütierte: auf bewegte Zeiten in Berlin (West) ein gutes Jahrzehnt davor, wo Schimmang selbst Politische Wissenschaften und Philosophie studierte – aber vor allem vielleicht seine K-Gruppen-Sozialisation erfuhr.
„Große Möglichkeit“ Frankfurt
Ob sein Leben ein anderes geworden wäre, hätte es ihn damals nicht in diesen APO-Standort verschlagen, sondern in den anderen, nach Frankfurt am Main nämlich: Diese Frage stellt Schimmang nun in seinem jüngsten Erzählungsband. Der trägt die Anspielung auf die Stadt von Kritischer Theorie und Suhrkamp-Kultur im Titel: „Adorno wohnt hier nicht mehr“. Neben dem 1969 verstorbenen Großtheoretiker – an dem sich dieser Tage ja wieder Hans und Franz abarbeiten – klingt da auch gleich wieder an: der Verlust; das Verlorene.
Jochen Schimmang: „Adorno wohnt hier nicht mehr. Erzählungen“. Edition Nautilus 2019, 208 S., 20 Euro
Lesung und Gespräch:
Di, 27. 8., 19.30 Uhr, Oldenburg, Wilhelm 13
Sa, 7. 9., 19 Uhr, Hamburg, Buchladen Osterstraße
Der vielleicht zentrale Text handelt dann auch von einer Spurensuche durch ein Frankfurt, das es nicht mehr gibt; eines, das der Erzähler „die große, nicht genutzte Möglichkeit meines Leben“ nennt: Der Suhrkamp-Verlag ist ja nun weg, und anstelle des markant-nachkriegsmodernen Gebäudes – in dem einst ein junger Jochen Schimmang seinem damaligen Verleger „zum einzigen Mal in meinem Leben auf eine Entfernung von etwa zwanzig Meter“ nahe kam – stehen Eigentumswohnungen, uninteressant nicht nur architektonisch.
Schönheit des Verschwindens
(Immerhin: Die Plakette an „Teddies“ einstigem Wohnhaus bekommen Schimmang und sein Frankfurter Gastgeber zu sehen, und eine einst von Adorno verlangte Fußgängerampel vor dem Institut für Sozialforschung: die gibt es inzwischen.) Vielleicht zur Vermeidung allzu blinder Heldenverehrung gibt’s im selben Stück dann auch solche Sätze: „Natürlich war er da“ – gemeint ist die berüchtigte „Busenattacke“ im April 1969 – „schon ein alter weißer Mann.“
„Geschichten dieser Art sammle ich seit vielen Jahren“, schreibt ziemlich zu Beginn des Buches ein weniger eindeutig mit dem Autor identischer Ich-Erzähler: „Das Schönste an der Welt wird für mich mehr und mehr, dass man noch immer in ihr verschwinden kann, auch wenn es von Jahr zu Jahr schwieriger wird.“
Und so geht es in dem Buch um verschiedene Arten des Verschwindens, manchmal auch um den Tod. Daneben blitzt dann plötzlich wieder das Groteske auf, wenn sich – in „Happy Birthday, alter Künstler“ – ein ebensolcher am Jubelfesttag vor den „aus allen Himmelsrichtungen“ anrückenden Besucher*innen versteckt: „Bei uns im Flachland sind sie schon lange vor der Ankunft sichtbar, jeder kennt den Witz dazu.“
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