Jochen Distelmeyer: Das Leben nach Blumfeld
Der Ex-Blumfeld-Musiker, Sänger und Diskurstexter Jochen Distelmeyer setzt zur zweiten Karriere an. In seiner neuen Band mischen Jeans Team, Veranda Music und Good Heart Boutique mit.
Distelmeyer and Friends? Jochen and his Boys? The Jochen Distelmeyer? Es darf gerätselt werden, wie sich der ehemalige Sänger und Gitarrist der Hamburger Band Blumfeld in neuer Inkarnation denn nun nennen wird.
Tourdaten: Jochen Distelmeyer spielt mit neuer Band am 15. 7. in Hannover, 16. 7. in Essen, 17. 7. in Würzburg, 18. 7. beim Melt!-Festival. Außerdem sind bereits folgende Termine klar: 30. 8. Hamburg, 9. 11. Köln, 11. 11. Erlangen, 14. 11. Stuttgart, 15. 11. München
Platte: Das neue Album wird bei der Plattenfirma Sony/BMG erscheinen. Veröffentlichungsdatum: "Spätsommer".
Sicher aber ist: Der 42-jährige, aus dem Ostwestfälischen stammende Musiker hat als bedeutendster deutscher Popstar der Neunziger allemal Vorschusslorbeeren verdient, jetzt, da er mit maßgeschneidertem Hemd wieder durch die Republik ziehen wird. Integer, abgezockt, imagebewusst, fanatisch, egomanisch, schlau, leicht religiös und schwer Suhrkamp, so erschienen einem Distelmeyer und Co auf den sechs Blumfeld-Alben und bei zahlreichen Tourneen.
Niemand kam an der Band vorbei, der sich in den Neunzigern mit Pop und unorthodoxer linker Politik beschäftigte. Blumfeld waren als schneidig klingende Absage an den "Wir sind wieder wer"-Patriotismus nach der deutschen Wiedervereinigung angetreten. "Berlin Wall gegen Holo, Hool und Holidays" sang Distelmeyer in "Eine eigene Geschichte". Der Sänger sprach zu seinen Hörern in einer manchmal verzweifelt dichten, anspielungsreichen Songsprache. Inzwischen sind Zitate aus seinen Songs zu Gliedern der Pop-DNA geworden. Seinerzeit aber war diese "Musik für eine andere Wirklichkeit" dringend benötigte Ausnüchterung gegen das Gelalle von den blühenden Landschaften, während die Asylantenheime brannten.
Distelmeyer umschiffte aber auch die eigenen, selbstbequemen Gegenkultur-Positionen mit Bravour. Indierock-Muff war seine Sache nicht. Stattdessen wurde er, wie er es "in Sachen Selbstverwirklichung" in dem Song "Jet Set" angekündigt hatte, zum verflucht tighten Popprofessional, ohne Berührungsängste bezüglich Balladenschwulst. Nicht unumstritten das, immerhin aber stellte "sich ein Bewusstsein für die eigenen Kriterien ein", wie Distelmeyer dem Journalisten Willi Winkler antwortete, als der ihn anlässlich der Auflösung von Blumfeld 2007 nochmals des Eklektizismus bezichtigen wollte. Selbst auf dem im Jahr zuvor erschienenen letzten Album "Verbotene Früchte" konnte Distelmeyer mit der kriminell harmlosen Nummer "Der Apfelmann" allein durch Aufzählen diverser Apfelsorten die Gemüter erregen.
Im Diskurs über Blumfeld wurde das Musikalische stets zweitrangig behandelt. Dabei ist das System Distelmeyer undenkbar ohne E-Gitarre und ohne die fruchtbare Auseinandersetzung mit den - bewusst gewählten - angloamerikanischen Vorbildern (Blind Willie McTell, Dead Kennedys, Prefab Sprout etc. pp.). Erst dadurch perfektionierte Distelmeyer den Prozess des versierten Pop-Komponisten, der in dem weiten Land zwischen Ingmar Bergman, Ingeborg Bachmann und Harry Rag sein (Text-)Feld bestellt.
Ab Donnerstag ist er also mit neuen Songs unterwegs. Distelmeyers neue Band wurde aus jüngeren Gruppen zusammengecastet: Jeans Team, Veranda Music, Good Heart Boutique. Zum Warmspielen wird das Hinterland abgeklappert. Dann kommen die Großstädte dran. Die Aufnahmen für das Debütalbum wurden gerade abgeschlossen. Produziert hat Distelmeyer zusammen mit dem auf properen Klang geeichten Toningenieur Andreas Herbig (der u. a. Udo Lindenbergs letztes Album in Szene setzte). Der Vibe im Studio soll entspannt gewesen sein. Mehr Info is nicht: sexy Nachrichtensperre.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin