Jobcenter: Rückkehr der großen Koalition
Die CDU ist sich einig beim Thema Jobcenter. Um sie zu erhalten, muss das Grundgesetz geändert werden. Dafür muss mit der SPD verhandelt werden. Die erhöht den Preis.
BERLIN taz | Nein, zu dem Thema will Norbert Lammert an diesem Montagmittag nicht viel sagen. Der Bundestagspräsident gehörte noch im Vorjahr zu den CDU-Politikern, die eine Verfassungsänderung zur Rettung der Jobcenter am vehementesten ablehnten. Jetzt kommt er gerade aus einer Sitzung, in der das Parteipräsidium die Kehrtwende abgenickt hat. Schon am Donnerstag will Arbeitsministerin Ursula von der Leyen mit den Sozialdemokraten über eine Änderung des Grundgesetzes verhandeln. Lammert sah das bis vor Kurzem doch ganz anders? "Ja, klar", antwortet er nur. Und entschwindet durch die Schiebetür ins Freie.
Es war eine regelrechte Revolte gewesen, als die CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Vorjahr das Projekt der großen Koalition torpedierte. Das Bundesverfassungsgericht hatte die Mischverwaltung von Bundesagentur und Kommunen für grundgesetzwidrig erklärt, sämtliche CDU-Ministerpräsidenten wollten das Problem gemeinsam mit der SPD durch eine Verfassungsänderung beheben. Fraktionschef Volker Kauder blockierte.
Man könne einen verfassungswidrigen Zustand nicht dadurch beseitigen, dass man einfach die Verfassung verbiege. Man dürfe die Selbstverwaltung der Kommunen nicht dadurch außer Kraft setzen, dass man ein "Bundessozialamt" schaffe. Das waren die formalen Argumente. Vor allem aber sprach aus der Entscheidung ein großer Frust über die Zwänge der großen Koalition.
Kaum ist die SPD aus der Regierung ausgeschieden, ist plötzlich alles anders. Ein einziger Brief des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch an von der Leyen genügte, um die Fraktion auszuhebeln. Die übrigen Ministerpräsidenten standen hinter Koch, für seine Position sprach auch der schiere Sachzwang. Für die Neuregelung haben die Verfassungsrichter eine Frist bis Jahresende gesetzt. Eine völlige Umorganisation der Hartz-IV-Verwaltung ist bis dahin kaum zu machen. Soll es weitergehen wie bisher, geht das aber nur per Verfassungsänderung.
Kauder hat damit innerhalb von nur einer Woche seine zweite schwere Niederlage erlitten. Erst hatte er sich ein Wochenende lang gegen den Ankauf der Schweizer Steuerdaten ausgesprochen, bis ihn die Kanzlerin mit einem gegenteiligen Machtwort überraschte. Nun muss Kauder mit den Jobcentern auch noch die Position räumen, die noch vor einem Jahr als Symbol galt für den heldenhaften Widerstand der Fraktion gegen den allzu soften Mittekurs Angela Merkels. Und dann schwärmt Umweltminister Norbert Röttgen auch noch vom Atomausstieg, auch wenn er in der Sache an verlängerten Laufzeiten festhält.
Das alles zeigt das Ausmaß der tektonischen Verschiebungen, die es in der CDU seit der Bundestagswahl gegeben hat. Nach ihrem schwarz-gelben Wahlerfolg ist Merkel nicht mehr zu substanziellen Zugeständnissen an die konservativen Kritiker des Mittekurses bereit. Gerade weil sie weiß, wie gefährlich ein Wiederaufleben des Lagerdenkens für die Mehrheitsfähigkeit der Union werden kann. Das zeigte sich schon an den Formulierungen der "Berliner Erklärung", die sie zu Jahresbeginn auf einer Klausurtagung der CDU-Gremien beschließen ließ.
Bei den Jobcentern tat sich CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe am Montag allerdings schwer, den plötzlichen Kursschwenk zu erklären. Die Fraktion habe sich im Vorjahr nur gegen allzu detaillierte Regeln im Grundgesetz gewandt. "Jetzt wollen die Ausformulierung einem einfachen Gesetz überlassen", sagte Gröhe. Auch müsse es "eine geeignete Form von Bundesaufsicht" geben, da es um die Verwendung von Bundesgeldern gehe. Nach Kommunalisierung klang das nicht mehr.
An der SPD wird die Verfassungsänderung jedenfalls nicht scheitern. Das Parteipräsidium signalisierte am Montag bereits Zustimmung - allerdings mit Bedingungen. "Es darf keine Kürzungen bei der Arbeitsförderung geben", heißt es in dem Beschluss. Die Zahl der Jobvermittler sei nicht verhandelbar, "außerdem dürfen die Fördermaßnahmen für Arbeitssuchende im Bundeshaushalt nicht reduziert werden".
Genau diese Haushaltsposten hatten Unionspolitiker bislang allerdings im Blick, wenn es um Sparmöglichkeiten im Rahmen der anstehenden Etatsanierung ging. Hier zeigt die SPD durchaus ihre Folterwerkzeuge. Vor einem Jahr hätte die Union die Verfassungsänderung noch deutlich billiger haben können.
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