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Joachim Gauck

Der studierte Pfarrer ist Traditionssozialist aus der DDR und einer der meistgehassten Männer der Nachwendezeit. Das liegt nicht an seiner Ausbildung zum Theologen und seinen Jobs als Pastor in Lüssow und Rostock, sondern an einer Berufung, die ihm die letzte DDR-Volkskammer einen Tag vor der Wiedervereinigung am 2. Oktober 1990 antrug: Nahezu einstimmig wurde der damals fünfzigjährige Politiker zum „Sonderbeauftragten für die personenbezogenen Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdiensts der DDR“ gewählt.

Der Bundestag zeigte sich mit seiner Arbeit einverstanden: So wurde aus dem Oppositionspolitiker des Neuen Forums und der Grünen der Chef der so genannten Gauck-Behörde. Kein anderes Mitglied der bundesdeutschen Politikerelite hat es qua Namen zu einem eigenen Verb gebracht: Gaucken (gegauckt, durchgegauckt, vergauckt) gilt seit Anfang der Neunzigerjahre sinnfällig für den Zustand, in dem jemand (meist Ostler) sich als hauptamtlicher oder Informeller Mitarbeiter der Stasi erwiesen hat.

Gauck, der Anfang des Jahres eine Anfrage seitens der CSU ablehnte, gegen Johannes Rau um das Amt des Bundespräsidenten zu kandidieren, wird im Oktober kommenden Jahres die Spitze seiner Behörde auf eigenen Wunsch verlassen. Viele wird das freuen, nicht nur Gregor Gysi und Manfred Stolpe, denen Gaucks Mitarbeiter heftig zugesetzt haben und deren exakte Verstrickung in das Spitzelsystem nach Meinung von vielen Bürgerrechtlern nach wie vor ungeklärt ist.

Zum Credo Joachim Gaucks gehört nach eigener Aussage Unbestechlichkeit und Wahrhaftigkeit. Allen politischen Initiativen (nicht nur der PDS), die aktenkundige Akuratesse in der Aufarbeitung der individuellen Spitzelei vieler DDR-Bürger und die Kritik am IM-Wesen abzumildern, hat der 1940 gebürtige Rostocker vehement und erfolgreich widerstanden.

Ein Eiferer ist er dabei nie gewesen. Was er stets verlangt hat, war ein Bekenntnis zum unmoralischen Tun und ein Selbstverstehen dessen, was falsch war an der Arbeit für die Stasi. JaF

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