american pie : „Jesus in Spikes“
Während zwei legendäre Spieler die US-Ligen verlassen, schwingt Barry Bonds nun wieder den Schläger
Sport wird vornehmlich von jungen Menschen in der Blüte ihrer Jahre betrieben, aber die Schlagzeilen der amerikanischen Sportseiten dominierten in den letzten Tagen die Herren mittleren Alters: Ein 44-Jähriger will nicht mehr hinter einem Puck herjagen, ein 42-Jähriger kein Lederei mehr fangen, und ein 41-Jähriger kehrt noch einmal zurück, um die Baseball-Rekordbücher für immer umzuschreiben.
Am Dienstag verkündete Mark Messier seinen Rücktritt nach 25 Jahren als Eishockey-Profi in der NHL. „Ich hatte eine lange Karriere“, ließ er verlauten, „es gab nichts mehr zu erreichen.“ Wohl wahr: Sechsmal durfte der Kanadier den Stanley Cup in die Höhe recken. Viermal gewann er ihn zusammen mit einem gewissen Wayne Gretzky in ihrer gemeinsamen Zeit bei den Edmonton Oilers. Gretzky ist zweifellos der beste Eishockey-Spieler aller Zeiten, aber der in Edmonton geborene Messier wird womöglich als die überragende Führungspersönlichkeit in die Geschichte seines Sports eingehen. Wo der groß gewachsene Gretzky seine Gegner elegant umkurvte, schien der eher gedrungene Messier stets mit dem Kopf durch die Wand zu wollen und Spiele mit reiner Willenskraft zu entscheiden. Gretzky wechselte nach Los Angeles und wurde niemals wieder Meister, doch Messier holte mit den Oilers und ohne „The Great One“ noch einmal den Cup. In den 90ern schließlich spielte er in New York und führte als Kapitän die Rangers zu ihrer ersten Meisterschaft nach 54 Jahren. Am Ende seiner Karriere stehen 694 Tore und 1.193 Assists, mehr Punkte hat nur sein alter Kumpel Gretzky gesammelt.
Bereits vergangene Woche hatte auch Jerry Rice hingeworfen – frustriert, weil er bei den Denver Broncos nur mehr eine Rolle als Ersatzspieler zugewiesen bekommen hatte. Broncos-Coach Mike Shanahan nannte die lebende Football-Legende zwar „den Größten, der je gespielt hat“, konnte ihn aber trotzdem überzeugen, seine Reputation nicht weiter zu beschädigen. Keine Selbstverständlichkeit: Rice war dafür berüchtigt, selbst im Sommer, wenn seine Kollegen Urlaub machten, täglich sieben Stunden zu trainieren, und „wäre am liebsten noch mit 60 aufgelaufen“, so Mike Holmgren, Trainer der Seattle Seahawks. Aber, so musste selbst Rice feststellen, „irgendwann holt jeden das Alter ein“. Aber nach 20 Jahren in der Liga hält Rice 38 NFL-Rekorde, gilt nahezu allen Experten als bester Passempfänger, einigen gar als bester Football-Profi aller Zeiten und Michael Irvin, der beim Erzrivalen Dallas Cowboys die Bälle fing, als „Jesus in Spikes“. Die meisten Yards sammelte Rice bei den San Francisco 49ers, wo er als liebste Anspielstation der Quarterback-Legenden Joe Montana und Steve Young dreimal die Super Bowl gewann.
Die einen gehen, der andere kommt zurück. In der Nacht zu Dienstag lief für die San Francisco Giants erstmals wieder Barry Bonds auf – und spielte Baseball, als wäre er nicht fast ein ganzes Jahr mit der Wiederherstellung seines rechten Knies beschäftigt gewesen: So vehement drosch Bonds einen Ball in die kühle Nachtluft, dass nur weniger Zentimeter fehlten und er hätte Homerun Nummer 704 erzielt. In San Francisco hofft man nun, dass die bislang außerordentlich mittelmäßigen Giants doch noch die Play-offs erreichen könnten, im Rest des Landes ist man allerdings nicht so begeistert. Nicht nur wurde Bonds unlängst von 52 Prozent seiner Kollegen zum arrogantesten Baseballprofi gewählt, auch manch einer der Liga-Verantwortlichen hatte gehofft, dass Bonds es Messier und Rice gleichtun würde. Ein Rücktritt hätte womöglich die Image-schädigenden Diskussionen um Doping im Baseball verstummen lassen. Denn dass der in den Balco-Skandal verwickelte Bonds seine exorbitanten Statistiken und seinen unübersehbaren Muskelzuwachs in reifem Alter nicht ausschließlich legalen Mitteln zu verdanken hat, steht fest, seit er zugegeben hat, eine Creme benutzt zu haben, in der – angeblich ohne sein Wissen – Steroide enthalten waren. Bonds aber ficht das nicht an. Er ist nach seiner erfolgreichen Rückkehr überzeugt, „dass ich dieses Spiel noch auf einem hohen Niveau spielen kann“. Da Bonds sich nicht selbst zurückziehen will, plädieren mittlerweile einige dafür, ihn aus den Rekordbüchern zu streichen oder ihn wenigstens, trotz seiner überragenden Leistungen, nicht in die Hall of Fame zu wählen. Eine Ehre, die so bald wie möglich Mark Messier und Jerry Rice ereilen wird.
THOMAS WINKLER