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Jérôme Boateng vor GerichtIm Zweifel für den Fußballer

Lilly Schröder
Kommentar von Lilly Schröder

Boateng steht wegen des Bild-Interviews über seine Ex-Freundin Kasia Lenhardt vor Gericht. Der Machtmissbrauch des Fußballers ist kein Einzelfall.

Vor Gericht und weiter auf dem Platz: Jérôme Boateng 2023 mit Champions-League-Pokal Foto: Imago/ActionPictures

W ar es Selbstmord? Hat er sie geschlagen? Hat sie die Verschwiegenheitsvereinbarung freiwillig unterzeichnet oder hat er sie dazu gezwungen? Es gibt Indizien dafür und dagegen, es steht Aussage gegen Aussage. Kasia Lenhardt gegen Jérôme Boateng.

Es war eine toxische Beziehung. Es geht nicht darum, diese zu bewerten. Es geht um die Strukturen und die Systeme, die mächtige Männer wie Boateng schützen. Und eines steht fest: Kasia Lenhardt wurde am 9. Februar 2021 tot in ihrer Wohnung aufgefunden, mutmaßlich war es Selbstmord. Jérôme Boateng ist dafür mindestens maßgeblich mitverantwortlich. Trotzdem kickt der Berliner unbeirrt weiter und genießt nach wie vor das öffentliche Ansehen als Fußballgott.

Kurz nach der Trennung von Lenhardt 2021 diskreditierte und demütigte Boateng seine Ex-Freundin in einem Interview mit der Bild. Er erhob schwere Vorwürfen gegen sie, sie sei alkoholabhängig und rachsüchtig, habe ihn zerstören wollen und erpresst. Während Boateng von vielen Fans Unterstützung erhielt, wurde Lenhardt in den sozialen Medien mit Hass und Morddrohungen geflutet. Sieben Tage später war sie tot.

Am Donnerstagmittag stand Boateng – vertreten durch seine Medienanwältin Stephanie Vendt – im Kammergericht in Schöneberg vor Gericht. Er musste sich in zweiter Instanz einer Unterlassungsklage der Mutter Lenhardts stellen. Doch für Boateng musste das kein Grund zur Sorge sein, denn der Gerichtssaal scheint für ihn etwas zu sein, das für viele Frauen nicht einmal ihr Zuhause ist: ein Safe Space.

Mildes Urteil im Fall Sherin S.

Zuletzt stand der Fußballer im Juni in München wegen Körperverletzung vor Gericht – das dritte Mal. Nachdem ihn Sherin S., seine Ex-Freundin vor Kasia Lenhardt, beschuldigt hatte, sie geschlagen, bespuckt, gebissen und beleidigt zu haben. Boateng wurde in dem Fall wegen Körperverletzung verurteilt.

Im Fachjargon bezeichnet man das Urteil als „milde“, passender ist wohl „lächerlich“. Denn bekommen hat er eine Verwarnung wegen Körperverletzung und eine Strafe von 200.000 Euro, die er allerdings nur zahlen muss, wenn er sich innerhalb einer einjährigen Bewährungszeit noch einmal etwas zuschulden kommen lässt. Hinzu kommt eine Zahlung von je 50.000 Euro an zwei Vereine für Jugendliche und Kinder.

Diese Summen sind ein Witz für einen Profifußballer, der in den Hochzeiten seiner Karriere beim FC Bayern zwölf Millionen Euro im Jahr verdiente. Gesellschaftliche Sanktionen, vor allem in der Fußballgemeinschaft, hätten echte Konsequenzen nach sich gezogen. Sowohl der DFB als auch der FC Bayern hätten Boateng während des laufenden Verfahrens suspendieren müssen.

Diese hielten jedoch bis zuletzt an der Unschuldsvermutung und der FC Bayern an ihrem Star-Spieler fest. Erst als der Druck zu groß wurde, wurde der Vertrag aufgelöst. Nur um ihm im Oktober 2023, als sich die Situation beruhigt hatte, anzubieten, wieder beim FC Bayern mitzutrainieren. „Boateng schon Boss im Bayern-Training!“, schrieb die Bild. Und so schnell war alles wieder vergessen.

„Er ist ja nicht verurteilt und ein Fußballheld“, raunte es auch in Fankreisen. Weltmeister, Champions-League-Sieger und langjähriger FC-Bayern-Spieler – man müsse die sportliche Leistung vom Privaten trennen. Nein, das muss man nicht und das kann man auch gar nicht. Wann verstehen wir das endlich? Das Private ist politisch. Punkt.

Machtmissbrauch hat im Fußball System

Die Fußballgemeinschaft, der DFB und der FC Bayern haben mit ihrer nahezu uneingeschränkten Unterstützung Boatengs zur Verharmlosung und Verschleierung des Suizids Lenhardts und der Mitverantwortung Boatengs sowie des gesamten Machtmissbrauchssystems Fußball beigetragen. Denn Jérôme Boateng ist kein Einzelfall. Nach einer Recherche von Correctiv und Süddeutsche Zeitung berichteten etliche Partnerinnen von Fußballprofis von einem System der Abhängigkeiten und des Machtmissbrauchs.

Es ist ein System, in dem Gewalt verschwiegen und betroffene Frauen eingeschüchtert und mundtot gemacht werden. Unter anderem durch Verschwiegenheitserklärungen über ihre Beziehung, die Part­ne­r*in­nen von Fußballern häufig unterzeichnen müssen. Eine solche unterschrieb auch Lenhardt, nur wenige Tage vor ihrem Tod. Ob Boateng sie dazu zwang oder sie freiwillig unterzeichnete, ist unklar.

Aber während Boateng Lenhardt auf aggressivste Art und Weise im Bild-Interview schmähen konnte, durfte sich diese nicht wehren. Regeln, die für sie gelten, scheinen für Profifußballer und die Boulevardpresse nicht zu gelten. Die Bild hat bei der Berichterstattung über Lenhardt, wie so häufig, alle Grundsätze der Pressearbeit missachtet, mit einigen Rügen des Presserats kam sie davon. Seit Lenhardts Suizid hat das Blatt kein Statement abgegeben, auch Boateng hat sich für die Äußerungen bislang nicht öffentlich entschuldigt.

Fußballer sind geschützt durch ein unantastbares Netzwerk aus Macht, Geld und Status. Ihre Frauen sind machtlos. Während hinter Boateng große Teile der Fußballgemeinschaft stehen, versammeln sich für Kasia Lenhardt vor dem Kammergericht am Donnerstag gerade einmal zehn Menschen – nicht mal so viel wie eine komplette Fußballmannschaft.

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Lilly Schröder
Redakteurin für Feminismus & Gesellschaft im Berlin-Ressort Schreibt über intersektionalen Feminismus, Popkultur und gesellschaftliche Themen in Berlin. Studium der Soziologie und Politik.
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