möllemann: Jenseits von Kärnten
Hildegard Hamm-Brücher ist gestern wegen Jürgen Möllemann aus der FDP ausgetreten. Das ist ein Signal, vielleicht eine Art historische Markierung. Dieser Austritt bringt einen seit längerem gärenden Prozess symbolisch auf den Punkt. Es fällt auseinander, was nicht mehr zusammengehört: Der honorige, traditionsreiche deutsche Liberalismus, der viel auf Bürgerrechte und Humanismus hält, verabschiedet sich von Möllemanns Radau-Liberalismus.
Kommentarvon STEFAN REINECKE
Machtpolitisch ist Hamm-Brüchers Austritt eine Arabeske – sie hat in der Partei nichts mehr zu sagen. Der Konflikt, der über die Zukunft der Partei entscheidet, spielt anderswo: zwischen Westerwelle und Möllemann.
Die Illusion, sich selbst in eine Volkspartei verzaubern zu können, ist geplatzt. Jetzt werden alte Rechnungen beglichen. Die FDP hat sich weitenteils darauf geeinigt, dass Möllemann an der Niederlage schuld ist. Das ist, schon weil die FDP in Nordrhein-Westfalen gut abschnitt, eigentlich ungerecht – aber so kann es gehen, wenn die Partei selbst an die eigene Propaganda glaubt.
Nun braucht der Frust ein Ventil. Die FDP hat das Gefühl, ihre liberale, anständige Seele für diesen Hokuspokus verkauft zu haben – und nicht einmal den Lohn dafür zu bekommen. Daher rührt ihre Wut. Deshalb – und nicht weil die FDP-Spitze plötzlich entdeckt hat, dass Möllemann mit Antisemitismus spielt – soll der Provokateur abtreten. Nach dem Sonderparteitag in NRW wird Möllemann in der FDP erledigt sein – oder Guido Westerwelle ist dann FDP-Chef nur noch außerhalb von NRW.
Er oder ich, ein Machtkampf also – und viel mehr. Es geht um eine Richtungsentscheidung. Möllemann zielt, ähnlich wie Haider, auf eine Protestpartei, ein populistisches Angebot für alle, die meinen, zu viel Steuern für zu wenig Autobahnen zu bezahlen. Das passt in der Tat nicht zu einer bürgerlichen Traditionspartei. Und das wird nun, in der Krise, deutlicher.
Viele Chancen hat Möllemanns Populismusidee derzeit nicht. Eine neue Partei zu gründen, ist riskant, denn deutsche Wähler sind konservativ, und Rechtsparteien ziehen verlässlich Sektierer und Querulanten an, die den Verein, effektiver als jede Antifademo, in ihre Einzelteile zerlegen.
Selbst wenn Möllemann den Showdown in NRW überstehen sollte – eine Karriere im Bund ist unvorstellbar. Die FDP ist eben längst nicht so kaputt wie die FPÖ, bevor Haider sie kaperte. Und Nordrhein-Westfalen ist nicht Kärnten.
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