■ Aus polnischer Sicht: Jenseits von Gut und Böse
Es gibt gute Osteuropäer. Sie arbeiten brav für drei-, vierhundert Mark pro Monat, sie produzieren den Stahl und die Kohle, die den Westeuropäern hilft, mehr Feizeit zu haben und bald die schädlichen Hütten und Gruben zu schließen. Oder sie bebauen ihre Äcker und liefern Fleisch und Korn zu so niedrigen Preisen, daß sich die westeuropäischen Bauern endlich mal ein wenig Erholung in Brüssel, Bonn oder Paris gönnen dürfen.
Die braven Osteuropäer bleiben zu Hause und freuen sich über Spenden und Besuche der anderen Osteuropäer, die aus Westeuropa deportiert wurden. Sie schießen aufeinander (eine durchaus begrüßenswerte Maßnahme gegen den Bevölkerungszuwachs auf der Erde, solange man von den Westeuropäern nicht erwartet, daß sie sich einmischen, womöglich noch mit Gewalt – Frieden schaffen ohne Waffen! heißt die Devise: nachdem sich alle in Bosnien umgebracht haben werden, kommt der Friede gewaltlos, von allein!).
Es gibt auch böse Osteuropäer. Sie klauen den ärmsten Westeuropäern ihre Krauss- Maffays 600 SEL und 750 iL – die man dann wieder anschaffen muß – und ruinieren dadurch die Autoindustrie, die es nicht schaffen kann, genug Fahrzeuge zu produzieren. Außerdem belästigen sie die geschädigten Eigentümer, die sich an irgendwelche Ersatzwagen gewöhnen und idiotische Formulare ausfüllen müssen, damit man nicht etwa denkt, daß sie die Limousine schwarz verkauft haben (um Gottes willen!) und obendrauf die Versicherung kassieren wollen.
Wenn die osteuropäischen Diebe erwischt werden, belästigen sie die zu bemitleidenden westeuropäischen Anwälte, die sie für einen Hungerlohn verteidigen müssen. Die anderen Osteuropäer kommen scharenweise und kaufen die Aldi-Läden und Ramschgeschäfte leer, so daß für die armen Aboriginals nichts mehr übrig bleibt.
Es gibt Osteuropäer. Und es gibt Westeuropäer. Die sind jenseits von Gut und Böse.
Die Vorstellung, daß der Unterschied zwischen ersteren und letzteren eines Tages verschwinden wird, liegt jenseits der europäischen Vorstellungskraft. Piotr Olszowka
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