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Jens Friebe über sein neues AlbumEine Totale auf das Reich der Sterne

Das neue Album von Jens Friebe heißt "Das mit dem Auto ist egal, Hauptsache dir ist nichts passiert". Für die taz hat er elf exklusive Liner Notes dazu geschrieben.

Schulschwänzerimpressionismus um Jugend und Tod? Bild: promo

Wisst ihr noch, Liner Notes? Dieses eitel geschwätzige, professoral bevormundende Plattencoverrückseitengenre aus den Sechzigerjahren? Hier ist es wieder, denn es gibt der Beweihräucherung, der ich mich selbst und meine Mitarbeiter nun unterziehen werde, einen seriösen Anstrich. Also los.

1. DU FREUST DICH JA GAR NICHT: "Komm und setz dich/Jetzt mach deine Augen zu/ Zähl bis dreißig/ So jetzt kannst du gucken, aber du /Freust dich ja gar nicht" gehen die ersten Worte. Die Musik aber meldet Überschwang, das Kerninstrumentarium der Platte wird direkt eingeführt: Chris Imlers wildes Schlagzeug, ein Bassynthesizer von Waldorf und eine von Produzent Berend Intelmann extra für mich abgestaubte charismatische Philips-Orgel. Moses Schneider hat den Song noch mal gemischt.

2. DAS MIT DEM AUTO IST EGAL, HAUPTSACHE DIR IST NICHTS PASSIERT: Wie die Nummer 1 aus einer stehenden Wendung geboren. Eine rührende Beschreibung eines beinahe schlimmen Unfalls aus der Sicht eines Angehörigen. In der zweiten Strophe gibt es ein Close Up auf die kaputte Digitaluhr, dann eine Totale auf das kalte ferne Reich der Sterne und Götter. Was klingt wie ein romantisches Klavier, ist wieder die Orgel, bei der Intelmann die Hallfahnen isoliert hat. Der Geistergesang kommt von Julie Miess. Eigentlich mein persönliches Lieblingslied.

3. NEUES GESICHT: Meine einzige echte Indierock-Nummer. Läuft deshalb so oft im Radio wie sonst nie ein Lied von mir. Juhu?

4. JEU DE CONS: "Ich packe meinen Koffer, und ich nehme mit: nichts". Dieser Trennungstext hat die gleiche Struktur wie das Kinderspiel. Jede Strophe wiederholt die vorherige und fügt einen Vierzeiler hinzu. Der Song für meine Verhältnisse arg trackig. Imlers Meisterstück als Koproduzent und Drummer. Die Bongos spielt er live mit, kein Overdub!

5. NOTHING MATTERS WHEN WE'RE DANCING: Als ich das hier aufnahm, wusste ich noch nicht, dass Erdmöbel eine ganze Platte mit schlechten deutschen Versionen von Nr. 1-Hits in Arbeit haben. Sonst hätte mir vielleicht der Elan zu dieser Magnetic Fields-Übersetzung gefehlt.

6. HASS, HASS, HASS: "In diesem Irrenhaus/In diesem Schweinestall/Wenn du es hier schaffst/Schaffst du es überall". Mein "New York, New York" fürs Volk.

7. ÜBER DEN WEG: Zwei Menschen (Ex-Partner?) laufen sich ständig über den Weg vor einer Kulisse, die aus Berliner Adressen zusammengesetzt ist, aber auch international, ja interstellar gehört werden kann (Alcatraz, Südstern, Golden Gate etc.). Was klingt wie eine Biene, ist die von Intelmann kongenial nachbearbeitete Stimme von Elke Brauweiler (Paula). Die wunderbare Mandoline im Mittelteil spielt der beim Mandolinenorchester Kapaikos ausgebildete Herman Herrmann.

8. WAS ES WILL: Das gruseligste Lied auf der Platte. Etwas Verdrängtes holt dich ein. Im Refrain moduliere ich durch vier Tonarten, zwei Mal über die Schmerzenssexte der Zieltonart. Was? Interessiert keinen? Raus aus meinen Linernotes!

9. ERSCHRECKEND AKTUELL: Die besinnungslos verlogene Schleimigkeit dieser stereotypen Formulierung aus dem Reich der gehobenen Kulturberichterstattung hatte mich, als ich sie mal wieder auf 3sat hörte, tagelang verfolgt, bis ich schließlich die süffisante Distanz zu ihr verlor. War sie nicht auch in ihrer scheinbaren Dummheit irgendwie auf psychedelische Art brilliant? Denn das Erschrecken wäre ja das eines aus der Vergangenheit Hergereisten, der sieht: Alles immer noch so schlimm, oh Schreck! Fühlen Kulturredakteure vielleicht wirklich so interessant? Davon, wie es weiterging und warum dann doch noch ein Liebeslied daraus wurde, ein anderes Mal.

10. FRAU BARON: "So wie auf dem Ölgemälde überm Himmelbett/In dem Raum neben dem Raum neben dem Raum mit dem Spinett/Sehen sie mich an, als wären wir vom gleichen Stand/Und sie nehmen meine Hand/Frau Baron..." Eine devotistische Romanze um das Recht der ersten Nacht, dass es Grundbesitzern in alten Zeiten erlaubte, ihre weiblichen Leibeigenen zu entjungfern. In meiner genderfucking modernisierten Version singt der Bauernsohn die grausame Herrin an. Ich schrieb das Lied als Auftragsarbeit für einen Abend aus der Reihe "Berlin Bunny Lectures" zum Thema "Adel". Am Tag der Aufnahme traf ich den trotz jahrelanger Heimlichtuerei immer noch gut aufgedrehten Kristof Schreuf (Ex-Kolossale Jugend, Kopf von Brüllen) auf der Straße. Er kam mit ins Studio, um zu hören, was wir so machen. Zum Glück, denn von ihm war die Idee mit den hohen Uhhs in der Strophe.

11. GEHEIME PARTY: Schulschwänzerimpressionismus um Jugend und Tod. Und endlich packt Dr. Miess doch noch den Bass aus. Und noch einmal mischt zum Abschied Moses Schneider. Vielen Dank und liebe Grüße.

Jens Friebe: "Das mit dem Auto ist egal, Hauptsache dir ist nichts passiert" (ZickZack/Indigo); Tour vom 9. Oktober bis zum 10. November Außerdem im Handel: Jens Friebes Buch "52 Wochenenden", das auf seinen taz-Kolumnen "ausgehen und rumkstehen" basiert

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1 Kommentar

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  • P
    Paula

    Habe Jens Friebe in einer Lesung mitten in der Pfälzer Provinz gesehen und fand ihn dermaßen schlecht: Saß da, hat lustlos nuschelnd aus seinem Buch vorgelesen, war überhaupt nicht vorbereitet und hat das als "cool-verplantes Künstlerdasein" dargestellt. Ging mir tatsächlich so, dass ich dachte: "hei, dass würd ich auch noch hingekommen, so zu schreiben."

     

    Das neue Album werd ich mal probehören. Kann mir allerdings nicht vorstellen, dass da viel dahintert steckt. Einen kritischeren Blick hätte ich von der Taz erwartet.