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Genderbacklash in CannesEs geht auch sanft aggressiv

Die 78. Filmfestspiele von Cannes boten viele Filme von Regisseurinnen – und keinen roten Teppich für Leute, denen man sexuelle Übergriffe anlastet.

Ein besserer Vater als Dieb: James Blaine „JB“ Mooney (Josh O’Connor) in Kelly Reichardts Film „The Mastermind“ Foto: Mastermind Movie Inc.

Z weifelt jemand daran, dass wir uns in einem Genderbacklash befinden? Politisch befeuert vom „starken Mann“ an diversen Staatsspitzen, gesellschaftlich gespiegelt in Phänomenen wie dem „MAGA-Look“ (republikanische Hyperbarbies mit „Utah-Curls“ und Fischmund) oder dem Tiktok-Trend der „Tradwifes“ (junge Frauen, die sich benehmen wie Figuren aus einem 50er-Jahre-Dr. Oetker-Werbeclip), kulturell aufgefangen in Serien- und Filmproduktionen, die klischierte Rollenbilder reproduzieren?

Immerhin: Bei den Filmfestspielen von Cannes, die letzte Woche zu Ende gingen, sollte das alles anders sein. Das von der filmbranchenintern ambivalenten Haltung gegenüber #MeToo gebeutelte Frankreich schien stolz auf neue Einsichten. Sogar die gallische Gallionsfigur Gérard Depardieu wurde zeitgleich mit dem Beginn des Festivals zu 18 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt – zum ersten Mal bezeichnete man den Schauspieler, der lange Zeit Stammgast an der Croisette war, somit konkret als Sexualstraftäter.

Das Filmfestival von Cannes hatte sich in diesem Jahr auch erstmalig öffentlich dazu bekannt, Filmemacher, die im Zusammenhang mit sexuellen Übergriffen stehen, nicht auf den roten Teppich zu lassen – diese Regelung traf einen der Hauptdarsteller des Wettbewerbfilms „Dossier 137“, der wegen Vergewaltigung angeklagt worden war.

negatives Beispiel Polansik

Jenni Zylka schreibt hier (meistens) über Film.

Was wohl passiert wäre, hätte Roman Polanski einen Film präsentieren wollen? Die Sache ist komplex: 2020 kam es zu massiven Protesten und Demonstrationen um die Ehrung Polanskis mit dem César-Regie-Award, den nationalen französischen Filmpreis. Erst fünf Jahre später hat die französische Akademie sich zur Ächtung und zum Ausschluss von Sexualstraftätern bekannt.

Die Akten zu Polanski sind länger als all seine Drehbücher zusammen, doch es gibt keine aktuelle Anklage, weil der Regisseur 1977 bei der ersten Klage vor der Verhandlung geflohen war, nachdem er sich zu der Tat bekannt hatte. Mittlerweile hat das Opfer von damals die Klage fallengelassen und möchte keine weitere Verfolgung, aktuellere Vorwürfe vieler anderer Frauen sind bislang nicht rechtsgültig.

Im August wird Polanski 92 Jahre alt – er wird es, egal was er künstlerisch noch liefert, vermutlich nicht mehr erleben, dass jemand ausschließlich über sein zweifelsfrei beeindruckendes und außergewöhnliches Regie­talent spricht. Denn das wird – und soll – niemand tun.

Mehr Frauengeschichten

Bei den Filmfestspielen von Cannes haute zwar Ethan Hunt (alias Tom Cruise) in gewohnter Actionmanier die Welt ohne Betäubung aus sämtlichen misslichen Lagen heraus und missachtete dabei, typisch Mann, den Schmerz im eigenen Körper. Doch in diesem Jahr wurden sieben der 22 Wettbewerbsfilme von Frauen inszeniert.

Einige von ihnen erzählen darüber hinaus „Frauengeschichten“ – Topoi, die einen zwingenden Bezug zum Geschlecht ihrer Prot­ago­nis­t:in­nen haben, darunter die deutsche Gewinnerin des Jury-Preises Mascha Schilinski mit ihrer somnambul-assoziativen Traumata-Bewältigungssaga, sowie Lynne Ramsay, die in „Die, My Love“ ihren Hauptcharakter auf Selbstzerstörungstrip durch eine postnatale Depression schickte. Können solche Filme das Bewusstsein für genderbedingte Unterschiede schärfen – oder zementieren sie die Unterschiede vielleicht sogar?

Die US-Regisseurin Kelly Reichardt hat einen subtileren Weg gewählt, um einem Backlash entgegenzuwirken: Ihre Filme, so auch ihr neues in Cannes präsentiertes Werk „The Mastermind“, wimmeln von Männerfiguren, die sich gegen klischierte Verhaltensmuster stellen, die sanft statt aggressiv sind, und die den Frauen um sie herum damit gar keinen Grund geben, sich enttäuscht oder ängstlich von ihnen abzuwenden.

In „The Mastermind“ verschusselt ein Kunstliebhaber einen Kunstraub. Er ist nämlich eigentlich ein besserer Vater als Dieb. Ein solch „schwacher“ Mann, dem die Herzen tonnenweise zufliegen, gibt garantiert das beste Antidot gegen den Gender­backlash mit seinen vermeintlich „starken“ Männern ab.

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