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Jelzin kehrt an den Schreibtisch zurück

Rußlands Präsident ist offiziell wieder voll genesen, aber so recht gesund wirkt er dabei nicht. Doch seine Abwesenheit im Kreml hat bewiesen: Es geht auch ganz gut ohne ihn  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Punkt 9 Uhr 40 Moskauer Zeit passierte die Wagenkolonne des russischen Präsidenten das Borowitzky Tor zum Kreml. Mit knapp halbjähriger Verspätung traf Boris Jelzin nun doch noch an seinem Arbeitsplatz ein. Er sei in bester Verfassung und „bereit zur Schlacht“, erzählte er den handverlesenen russischen Journalisten. Äußerlich genesen macht Jelzin dennoch nicht den Eindruck, wieder voll auf der Höhe zu sein. Schon am Freitag hatte er in einem Fernsehinterview seine Rückkehr in den Kreml angekündigt. Er wirkte steif, sprach langsam, schien seine Antworten lediglich abzulesen und schaute den Fragesteller nicht ein einziges Mal an. „Das Land braucht einen aktiven, energischen Präsidenten, besonders jetzt“, waren Jelzins Worte.

Aus dem Umfeld des Kremlchefs hatte es bereits wenige Tage nach dessen Bypassoperation Anfang November geheißen, der Präsident verbringe täglich eine gewisse Zeit mit dem Studium von Dokumenten. Kaum aus der Narkose erwacht, holte sich Jelzin den Nuklearkoffer mit dem roten Knopf von Premierminister Viktor Tschernomyrdin zurück, der insgeamt 23 Stunden den Chef vertreten hatte. Auf keinen Fall durfte der Eindruck entstehen, das Land sei führungslos – sprich: jelzinlos.

Wider alle Unkenrufe hat Jelzins Abwesenheit bewiesen, daß es auch ohne ihn geht. Präsident und Land befinden sich auf dem Weg der Genesung. Zunächst wolle er sich mit den drängendsten Problemen befassen, teilte Jelzin mit: Milliardenschulden des Staats gegenüber seinen Angestellten. Sicherung des Friedensprozesses in Tschetschenien. Renten, die nicht gezahlt wurden. Daneben steht die Armeereform auf der Tagesordnung. Streitigkeiten innerhalb des Generalstabes dürften Jelzins Aufmerksamkeit verlangen.

Jelzins Machthunger, die treibende Kraft seines Handelns, schüren Vermutungen, er könne in den nächsten Wochen durch spektakuläre Aktionen beweisen wollen, daß er die Zügel wieder fest in der Hand hält. Daß er dem Rat der Ärzte folgt und die Amtsgeschäfte erst einmal mit Ruhe angeht, erscheint schwer mit seinem Charakter zu vereinbaren. Zweifel kamen auch auf, ob er hält, was er dem amerikanischen Kardiologen Debakey versprochen haben soll: ein Glas Wein pro Tag – und basta.

Unterdessen häufen sich Gerüchte, Jelzin könne dem Chef der Präsidialadministration Anatoli Tschubais die Flügel stutzen oder ihn erneut davonjagen. Tschubais war es, der Jelzin zur Wiederwahl verhalf. Der ehemalige Privatisierungsminister genießt nur wenig Sympathien. Die einen hassen ihn, weil sie zuwenig abbekommen haben, die anderen weil er intelligent ist und wiederum andere weil er diszipliniert und organisiert ist. Nicht zuletzt ist es ihm zu verdanken, daß Rußland die Abwesenheit des Präsidenten kaum bemerkt hat. Mit der Ernennung des aalglatten Sergej Schachrai zum stellvertretenden Leiter der Administration hat Jelzin Tschubai einen listigen und hintertriebenen Widersacher ins Nest gesetzt. Die Anwesenheit des Moskauer Bürgermeisters Juri Luschkow im Konsultativrat des Präsidenten, ohne Mitglied zu sein, deutet auch auf eine Schwächung des Leiters der Administration hin. Dankbarkeit, das hat Jelzin wiederholt bewiesen, ist nicht Bestandteil seines politischen Credos.

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