Jeden Tag Corona: Der kranke Hypochonder
Der Arzt empfiehlt Osman, sich weniger Gedanken über sich selbst zu machen als über die Welt, aber das ist auch nicht gesünder.
S o, Osman, ich kann es nicht mehr ertragen! Du kommst jetzt mit“, schimpft die Zweitgrößte Nervensäge des Mittleren Orients und schleppt mich schnurstracks zu Herrn Doktor Gutdünken.
„Herr Doktor, mein Mann hatte angeblich seit zwei Jahren jeden Tag Corona! Jetzt ärgern Sie sich doch mal zur Abwechslung über ihn! Schließlich werden Sie dafür bezahlt“, zischt Eminanim und schiebt mich auf den wackligen Patientenstuhl mitten im Raum.
„Herr Doktor, ich bin doch überhaupt nicht krank. Ich bin kerngesund. Ich lasse mich doch jeden Tag testen und war noch nie Corona-positiv“, wehre ich mich.
„Wie bitte? Sie sind kerngesund? Was suchen Sie dann hier?“, fragt Doktor Gutdünken irritiert.
Völlig ungenießbar
„Der Kerl ist der größte Hypochonder, den es gibt“, ruft meine Frau.
„Aber Ihr Mann sagt doch, dass er kerngesund ist. Hypochonder sind anders. Ich kenne mich da aus. Ich habe studiert. Die Hypochonder bilden sich die unmöglichsten Krankheiten ein.“
„Herr Doktor, eigentlich hat meine Frau schon Recht. Ich muss krank sein! Meine vor Kraft strotzende Gesundheit ist sicherlich nur eine Tarnung“, stehe ich meiner Frau bei.
„Was denn nun? Entscheiden Sie sich bitte. Sind Sie nun krank oder nicht?“
„Unter Midlife Crisis leidet er auch noch! Hypochonder gepaart mit Midlife Crisis ist echt der Hammer, völlig ungenießbar“, legt meine Frau noch eins drauf. „Herr Doktor, hier bei Ihnen spielt er den Gesunden. Zu Hause ist er nur am Jammern. ‚Oooh, ich bin sooo krank, ooooh, mir geht es soooo schlecht! Mit Sicherheit sterbe ich noch heuteeee.‘“
„Frau Engin, ist es vielleicht möglich, dass Ihr Mann schizophren ist? Fallen Ihnen manchmal irgendwelche Persönlichkeitsstörungen bei ihm auf?“
„Manchmal? Herr Doktor, fragen Sie mich lieber, wann der Kerl nicht gestört ist!“
„Nein, nein, nein! Ich bin nicht mal schizophren! Nicht mal das bin ich, verdammt! Ich bin völlig gesund. Das ist doch nicht normal!“
„Nun, Sie sind der erste Patient, der hier seine fabelhafte Gesundheit beklagt.“
Politik als Rezept
„Krank ist er, krank! Im Kopf!“
„Herr Engin, konzentrieren Sie sich weniger auf sich selbst, stattdessen machen Sie sich mehr Gedanken um Ihre Umwelt oder um Politik. Dann wird Ihre Hypochondrie schnell vergehen.“
„Meinen Sie etwa, ich sollte mir Sorgen machen, dass in der Türkei die Demokratie mehr und mehr abgeschafft wird?“
„Ja. Zum Beispiel.“
„Oder dass die Rechtsradikalen von der AfD in Deutschland immer stärker werden?“
„Ja. Auch ein gutes Thema. Da kann man sich ganz hervorragend drüber aufregen.“
„Aber das ist es ja, Herr Doktor! Alle meine Bekannten haben wegen diesen Problemen Magengeschwüre, Schlafstörungen, Depressionen oder sonst was Aufregendes bekommen. Manche sind im Krankenhaus gelandet, einige in der Klapse, wiederum andere im Knast. Nur ich habe nichts! Das ist doch nicht normal. Ich muss tief im Innern unglaublich krank sein! Tun Sie bitte etwas. Retten Sie mich, bevor es zu spät ist und die Krankheit ausbricht!“
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