piwik no script img

„Je suis“-Hype nach Pariser AnschlagBrummton der Betroffenheit

Wer jetzt „Charlie“ sein darf, wird manchmal sogar mit Fäusten entschieden. Dabei bedeutet „Je suis Charlie“ nichts. Es ist ein Allgemeinplatz.

Die Anwältin Amal Clooney, Frau des Schauspielers, hat auch einen Soli-Button an ihre Tasche gesteckt. Bild: reuters

Bernard Holtrop ist 73 Jahre alt, Zeichner von Beruf, und hat das Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo überlebt, weil er nicht vor Ort war. Die Mörder hatten am vergangenen Mittwochvormittag auch nach ihm gerufen. „Ich gehe nie auf Redaktionskonferenzen“, sagt er und wundert sich über den überwältigenden Zuspruch für sich und seine Zunft: „Wir haben viele neue Freunde wie den Papst, Königin Elisabeth oder Putin.“ Sie alle und „wir“ auch, scheint es, „sind“ plötzlich „Charlie“.

Seine emotionale Überwältigung angesichts der weltweiten Anteilnahme fasste Holtrop in treffende Worte: „Wir kotzen im Strahl auf all diese Leute, die auf einmal unsere Freunde sein wollen.“

Auch in Deutschland wollten in der vergangenen Woche alle plötzlich „Charlie“ sein, von der taz bis zur „Tagesschau“, von der Welt bis zur Westfalenpost, von der Linken bis zur NPD, vom Bandidos-Chapter Bamberg bis zu Pegida. Sieht so aus, als stünde der Satz „Je sui Charlie“ zur Stunde für ein ungewöhnlich breites gesellschaftliches Bündnis. Millionen auf den Straßen. Und ist nicht der Hashtag #jesuischarlie bis heute soundso oft getwittert worden? Ist er.

Und es bedeutet exakt so viel, wie es kostet – gar nichts.

„Je suis Charlie“ ist nicht als politisches Handeln zu verstehen oder zu übersetzen mit „Ich teile solidarisch die Werte, für die diese Leute gestorben sind und würde es gegebenenfalls selbst tun“. Nein, „Je suis Charlie“ bedeutet „Huch!“, „Oje!“ oder „Nee, also so was!“. Es ist der Brummton der Betroffenheit.

Vom Beileid spaltet sich das Selbstmitleid ab, in Moll, und schon mischen sich andere Töne dazwischen, schrille, improvisierte, verzerrte. Was wir pikiert „Instrumentalisierung“ nennen, ist die natürliche Fortführung des gegebenen Themas von interessierter Seite.

Erst von rechter, die sind immer irrsinnig schnell. Für linke Betroffenheitsathleten gehört das Zeigen der guten Gesinnung aber auch nicht zu den schwersten Übungen.

Feind bleibt Feind

In der Innenstadt von Frankfurt kam es am Sonntag zu einem Gerangel. 500 unentschlossenen Teilnehmern einer Mahnwache der rechten „Freien Wähler“ standen entschlossene Gegendemonstranten gegenüber. Die Frage, wer von beiden denn nun „Charlie“ sein dürfe, wurde am Ende allen Ernstes mit Ellbogen und Fäusten ausgetragen. Dabei sollte „Charlie“ als Allgemeinplatz eigentlich groß genug sein, um darauf bequem einen Jumbo zu landen.

Umso erfrischender die Einlassung von Jean-Marie Le Pen, dem 86-jährigen Gründer des rechten Front National. Er erklärte aus dem politischen Off: „Heute heißt es: Wir sind alle Charlie, ich bin Charlie. Aber ich, tut mir leid, ich bin nicht Charlie.“ So sehr er den Tod der Landsleute bedaure, so wenig teile er deren Gesinnung. „Charlie Hebdo“ arbeite mit „anarcho-trotzkistischem Esprit“ an der Auflösung der „politischen Moral“.

Das ist kein „Oje!“, aber auch kein „Ätsch!“ oder „Mir doch egal!“. In gewisser Weise lässt er damit seinen Feinden eine Würde, die ihnen das papageienhafte „Je suis Charlie“ gerade nimmt. Er bleibt als Feind kenntlich und nennt seine Feinde weiterhin Feinde, anstatt sie an seinem Herz ersticken zu wollen.

So sehr der alte Le Pen auch am Rad drehen mag – damit beweist er mehr Haltung und Anstand als jeder gratistapfere Kolumnist, der jetzt zu Heiligtümern des Abendlandes erklärt, worüber er neulich noch die Nase rümpfte. Oder, wie Robert Misik sagt: „Aufrecht stehen, nicht auf Knien, das muss der zeitgenössische Journalismus erst üben.“

Wer eigentlich?

Wer war noch mal Charlie? Stéphane Charbonnier, Jean Caburt und die anderen waren jedenfalls keine knuddelige Konsensgestalten, die mit ihren Schreibmaschinen und Stiften sozusagen die Lenzpumpen der Gesellschaft bedienten. Sie waren, weit wichtiger, die Nervensägen, die das Boot in alle Richtungen zum Schaukeln brachten. Nicht fahrlässig, sondern um es auf seine behauptete Unsinkbarkeit zu testen, auf seinen Unsinn.

Die Wellen breiten sich gerade aus. Schnell ist es mit „Je suis Charlie“ nicht mehr getan, wie auch? Zunächst bedienen sich französische Muslime des Hashtags #JesuisAhmed – weil der Polizist Ahmed Merabet auch Opfer der Killer war. Ein weitverbreiteter Tweet bringt es auf den Punkt: „Ich bin nicht Charlie, ich bin Ahmed der tote Polizist. Charlie hat meinen Glauben und meine Kultur lächerlich gemacht, und ich starb in Verteidigung seines Rechtes, das zu tun. #JesuisAhmed.“

Damit passiert zweierlei. Der Hinweis auf den muslimischen Polizisten unterstreicht, dass Muslime auch Opfer islamistischer Gewalt sind.

Und durch die Hintertür kommt wieder Voltaire ins Spiel. In Deutschland wird habituell Tucholsky (“Was darf die Satire? Alles!“) hergenommen, Frankreich bezieht seiner geistige Aufklärungsmunition eben von Voltaire. Einer seiner Biografen hat ihm da einen Satz (“Ich teile ihre Meinung nicht, werde aber bis zum letzten Atemzug kämpfen, dass sie sie frei äußern können“) in den Mund gelegt, den wird er nicht mehr los.

Ebenso wie seinen angeblichen Antisemitismus. Wenn Voltaire etwas wirklich verabscheute, dann Pumpernickel, nicht die Juden. Trotzdem finden viele „User“ den Einsatz von Voltaire im aktuellen Diskurs als unangemessen.

Womit wir unversehens die nächste Karte im Opfer-Quartett bereits in der Hand halten. Auf „Charlie“, der für alles Mögliche und Unmögliche steht, folgt Ahmed – der für „die friedlichen Muslime“ und ihre angezündeten Moscheen steht. Fehlt, weil „er“ in einem vielerorts verschämt als „koscher“ bezeichneten Supermarkt gezielt getötet wurde und wir gerade sowieso personalisieren – der Jude.

#WhatTheFuck

Diese Bevölkerungsgruppe, einst traditionell stark, fühlt sich in Frankreich seit einer ganzen Weile nicht mehr sonderlich wohl, gar bedroht. Weil der passende Hashtag #WhatTheFuck wohl schon vergeben ist, tut’s auch hier: #Jesuisjuif. Die Verunsicherung in vielen Tweets liest sich, als führe man mit dem Finger über den feinen Spalt, der sich da bildet: „#JeSuisCharlie is trending. #JeSuisAhmed is trending. #JeSuisJuif is not trending. And no one is surprised. Oder: „If you tweeted #JeSuisCharlie but won’t tweet #JeSuisJuif today, I think we can all figure out the reason.“

Soziale Medien sind auch nur Medien. Eine Arena der Reflexe, nicht der Reflexionen. Wo es nichts kostet, nicht einmal Zeit, sich zu diesem oder jenem zu bekennen, kann man sich zu allem bekennen – und es nützt niemandem, am wenigsten dem Bekennenden. Die Verwirrung ist komplett. Es gibt gute Gründe, „Charlie“ zu sein. Und es gibt gute Gründe, nicht „Charlie“ zu sein.

Wer daran interessiert ist, mag diese albernen Spiegelfechtereien einen Kulturkampf nennen, in dem es darum geht, wer „wir“ sind und wer „sie“ und wie wir uns auseinanderhalten können. Dabei ist nichts leichter zu beantworten als die müßige Frage, warum „sie“ nicht zu „uns“ gehören.

Worüber wir aus dem Blick verlieren, wer „wir“ überhaupt sind – oder sein wollen. Das wäre die eigentliche Frage. Ein Brummton ist nicht die Antwort.

Es gibt Hinweise darauf, dass wir wohl oder übel in einem Boot sitzen. Es schaukelt, aber ein Boot ist es doch. Wir sind Christen, Muslime, Juden, Atheisten, wir sind alles, was möglich ist. Und, ob wir darüber nun im Strahl kotzen oder nicht, die Brüder Kouachi sind wir auch.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

16 Kommentare

 / 
  • "...Der Hinweis auf den muslimischen Polizisten unterstreicht, dass Muslime auch Opfer islamistischer Gewalt sind."

     

    Sie sind die hauptsaechlichen Opfer, da gibt es kein Wenn und Aber. Zahlen sprechen fuer sich: http://www.start.umd.edu/gtd/globe/index.html

     

    Schade das dieser Fakt aber nur am Rande des ganzen "Charlie Hebdo Hypes" eroertert wird.

     

    Westliche Medien von links nach rechts berichten nun pausenlos ueber den islamischen Terrorismus ohne bzw. kaum auf die hauptsaechlichen Opfer einzugehen- welches ja die Muslime sind. Statt desen wird lieber gehypt, verkauft sich ja besser!

  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    "Brummton der Betroffenheit" - Ja, er ist nur etwas höher als sonst, der Brummton der Dummheit die Mensch heißt.

  • Schönes Clickbait-Foto.

    Aber Amal Ramzi Alamuddin Clooney ist nicht allein "die Frau des Schauspielers", sondern eine Menschenrechtsanwältin, die u.a. Kofi Annan beraten hat und einem dreiköpfigen Tribunal über Kriegsverbrechen in Gaza angehörte.

     

    Im Übrigen stimme ich Schalamow zu. Diese -- zugegeben wohlfeile -- "je suis Charlie"-Solidarität führt wenigstens dazu, dass zumindest in Europa die Kirchenoberhäupter es sich zweimal überlegen, bevor sie gegen die Karikaturen wettern. So war es nämlich noch in 2005, als nach der Veröffentlichung des Jyllands Posten die dänischen Botschaften brannten. Da hat "Wir sind Papst" Benedikt es sich nicht nehmen lassen, den Schutz religiöser Gefühle über die Meinungsfreiheit zu stellen. Wenigstens das scheint heute anders zu laufen. Und ich vermute, das ist auch der großen Öffentlichkeit geschuldet.

  • Dieser Artikel ist einfach nur zum Kotzen, von mir aus auch im Strahl, da bin ich nicht so pingelig. Von der zu erwartenden Empörung darüber, dass ein Drei-Worte-Bekenntnis keine Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen politischen Weltanschauung beinhaltet (sic!), über den Beifall ausgerechnet für diejenigen, die mit ihrer Abgrenzung gerade Voltaire, Tucholsky, ja uns allen den Stinkefinger zeigen, bis hin zur bodenlosen Geschmacklosigkeit der Behauptung, wir wären doch alle ein bisschen Kouachi. Also dann Herr Frank, für Sie zum Mitschreiben: "Je suis Charlie" meint genau das, was, in den Mund gelegt oder nicht, Voltaires Satz sagt. Dass das denjenigen, die gerade ohnehin dabei sind, das Abendland gegen den Islam zu verteidigen, so flott von den Lippen geht, kann niemanden verwundern. Für sie wäre der Prüfstein tatsächlich, ob sie sich auch "Je suis juif" aufs Plakat schreiben würden. Das kann aber keinen falschen Beifall für die rechtfertigen, die sich bewusst dieser Solidarität entziehen. Le Pen versteckt hinter seinen Worten nur mühsam seine Genugtuung, dass es ein paar anarchische Schmierer erwischt hat, das ist nichts als pure Menschenverachtung und in seinem Hass den Jihadisten ziemlich nahestehend. Und natürlich ist auch "Je suis Ahmed" eine Kampfansage an uns alle und nichts als ein frecher Versuch zwischen guten und schlechten Opfern zu unterscheiden. Und was wäre dann ein beachtenswertes Bekenntnis zum Wert der Meinungsfreiheit?

    Ganz einfach: Der Imam, der neben "Je suis Charlie" auch die Charlie Hebdo Karikaturen, wegen derer so viele Menschen sterben mussten, an die Tür seiner Moschee klebt und damit jedem Islamisten zeigt, dass auch ein gläubiger Moslem die Meinungsfreiheit über die fehlverstandene Glaubensgemeinschaft mit Terroristen stellen kann, der hätte ein Bekenntnis abgelegt, das Mut machen würde.

  • Da Willem Holtrop auch schon bei der verbotenen Vorläuferzeitung Hara-Kiri dabei war und nach dem Artikel seine anarchistische Haltung wohl nicht verloren hat, frage ich mich, warum die Hinterbliebenen oder Kollegen nicht diese blöde heuchlerische Trauerfeier irgendwie mal instumentalisieren konnten, um den Blödsinn aufzuzeigen.

    • @Age Krüger:

      Abwarten. Erst einmal:

       

      "Laß die Toten ihre Toten begraben"

  • Danke. Je suis einverstanden.

  • Ja, schön! Wenn alle dafür sind, erfordert es weder besonderen Mut noch tiefere gedankliche Reflexion, um mitzumachen. Für diese subtile Beobachtung gebührt Arno Frank unser aller Dank.

     

    Aber nur mal als Gedankenexperiment: Würde ein Arno Frank, der natürlich niemals einfach nur nachplappern würde, sich wohler fühlen, wenn sich ausschließlich der verbleibende Rest der Redaktion von "Charlie Hebdo" und ein paar hundert Hanseln zum Protest versammelt hätten?

     

    Ich kann mir nicht helfen, aber dieser Kommentar hat etwas überaus Krähwinkelhaftes. Es geht nicht darum, dass man die Überzeugungen der ermordeten Redakteure teilt. Es geht ausschließlich darum, dass sie diese Überzeugungen auch verbreiten dürfen. Und das sollte in einer demokratischen Gesellschaft eigentlich alle angehen.

  • Wir warten alle gespannt auf den Hollywoodfilm, der das Thema abrundet. Wer bestimmt eigentlich, wer in der ersten Reihe auf dem großen Marsch in Paris - medienwirksam - marschieren darf und Einlass findet in die Geschichtsbücher? Wie bei den großen Fußballspielen: Die Politiker mit der weißen Weste bekommen die besten Plätze.

  • also wer prominenter ist, als der gemeine taz-mitarbeiter, darf nicht mit je suis...auf sich aufmerksam machen?

    ...nice....ihr gegen dir, oder wie?

  • ps

     

    Oder, wie Robert Misik sagt: „Aufrecht stehen, nicht auf Knien, das muss der zeitgenössische Journalismus erst üben.“

     

    ja - damit könnte die taz gern mal anfangen.

    Viel Glück

     

    Ps:  Danke für Ihren Kommentar. Er wartet auf Freischaltung. Bitte haben Sie Geduld und senden Sie ihn nicht mehrfach ab. - ok -

     

    mit F.K.Waechter - NÖ WIESO!

  • . . Seine emotionale Überwältigung angesichts der weltweiten Anteilnahme fasste Holtrop in treffende Worte: „Wir kotzen im Strahl auf all diese Leute, die auf einmal unsere Freunde sein wollen.“. . ."

     

    Wie wenig - wenn überhaupt er damit falsch liegt - mag erhellen -

    daß ARD in Tagesschau wie Brennpunkt immer wieder kommentierte -

    "über die drei Religionen und Parteien hinweg" -

     

    Wo doch die Mehrheit der Demonstrierenden -

    sicher aber der Bevölkerung France wie der übrigen Länder der EU -

    getauft oder nicht -

    diesen drei Religionen tatsächlich gar nicht zuzurechnen ist -

     

    Diese vielmehr wie aber vor allem

    Charlie Hebdo für

    religionsfreie Weltanschauungen stehen.

     

    Ps:  Danke für Ihren Kommentar. Er wartet auf Freischaltung. Bitte haben Sie Geduld und senden Sie ihn nicht mehrfach ab. - ok -

     

    mit F.K.Waechter - NÖ WIESO!

  • je suis

    tu es

    il/elle est

    nous sommes

    vous etes

    ils/elles sont

    • @Waage69:

      Vous êtes wird mit einem

      accent circonflexe gekrönt .....

       

      Diese schreckliche Tat wird , vielleicht und hoffentlich , viele Menschen dazu bringen mal wieder zu denken ......... und nicht nur nach zu denken .

      • @Marieke:

        Pardon, ich war zu faul...

         

        ...also überleg - such such such - lang nicht mehr gemacht - mit der Taste links von 1 und dann ein kleines e hinterher, da isses ja: ê !

         

        Was Ihren zweiten Satz betrifft hoffe ich genau wie Sie. Mir geht nur diese inflationäre "je suis" vor allem in den Überschriften der Artikel langsam auf den Senkel.

        • @Waage69:

          Ja, mir gehts so langsam auch schon auf den Senkel.

          Wieviel Minuten sind eigentlich schon seit dem Massaker vergangen?