■ Schnittplatz: Je falscher, desto besser?
Kein Born weit und breit. Diesmal war „Stern TV“ selbst schuld. Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes soll das RTL-Magazin wegen eines fehlerhaften Berichts einen Schadensersatz in sechsstelliger Höhe zahlen. Unter dem Titel „Die skandalösen Operationen des Frauenarztes Dr. F.“, hatte „Stern TV“ am 8. Januar 1992 über gravierende Operationsfehler eines Arztes berichtet, der daraufhin seinen neuen Job und 190.000 Mark für die sinnlos gewordene Übernahme einer Praxis verlor. In dem Beitrag hatte sich „Stern TV“ lediglich auf die Aussagen von neun Assistenz- und Oberärzten gestützt, die Entlastung des Arztes durch den Klinikleiter und eine Untersuchung der Vorwürfe durch die Ärztekammer (die ihn später entlastete) aber verschwiegen.
Nachdem sich die Richter der ersten Instanz (dem Oberlandesgericht) noch als Freunde der Schwarzwaldklinik geoutet und den Beitrag „trotz einiger unrichtiger Äußerungen“ als gutes Beispiel für die Fehlbarkeit der Mediziner gewertet hatten, sah der Bundesgerichtshof darin eher ein Beispiel für unsaubere Recherchen. Die Beklagten dürften sich nicht auf die Übernahme von Vorwürfen berufen, da bereits die Verbreitung der Meinung eines Dritten rechtlich als eigene Äußerung des Erklärenden zu werten sei – wenn es an einer ernsthaften Distanzierung fehle.
So lobenswert dieser Ansatz zur Neubewertung der Rolle von Journalisten ist (die sich nur allzugern aus Bequemlichkeit oder missionarischem Übereifer mit einer handelnden Partei solidarisieren) – so absurd fiel der Rest der Urteilsbegründung aus. Demnach sei ein rufschädigender Beitrag in den Medien auch dann noch zulässig, wenn er sich später als falsch erweise. Die Journalisten müßten aber die Gefahr, etwas Falsches zu verbreiten, „nach Kräften ausschalten“. Im Klartext heißt das: „Stern TV“ wurde nicht verurteilt, weil es unwahre Behauptungen aufstellte, sondern weil nicht genügend falsche Beweise dafür zusammengetragen wurden. In Redaktionen, die es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen, wird man das Motto dankbar aufnehmen: Je falscher, desto besser. O.G.
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