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Jauche, Gülle, Mist und GärrestWachstum kaum gebremst

In Niedersachsen steigt der Überschuss an Mist und Gülle weiter – und belastet das Grundwasser. Besserung ist nicht in Sicht

Vom Stall auf die Straße, von der Straße aufs Feld: Bis sie in Ebstorf ankommt, hat die Gülle schon was von der Welt gesehen

BREMEN taz | Ein bisschen soll sowas natürlich auch eine Erfolgsmeldung sein. Bereits den dritten Nährstoffbericht haben Niedersachsens Agrarministerium und die Landwirtschaftskammer fertig, am Mittwoch präsentiert von Landwirtschaftsminister Christian Meyer (Grüne). Der Bericht liegt damit dieses Jahr schon zwei Monate früher vor als 2015, pünktlich sowohl zum Start der Grünen Woche als auch für die agrarindustriekritische “Wir haben es satt!“-Demo am 16. Januar. Und weil es eben auch ein Erfolg sein soll, sagt Meyer: „Die Maßnahmen, um die Düngermenge zu reduzieren, zeigen bereits Wirkung.“

Das lässt sich in Details des Berichts nachvollziehen – nicht aber anhand der Eckdaten: Tatsächlich ist das bisher schon zu hohe Gesamtaufkommen an Nährstoffen – das sind Gülle, Jauche, Mist und Gärsubstrate aus Biogasanlagen – von Juli 2014 bis Juni 2015 erneut gestiegen. Allerdings nur um 400.000 Tonnen, das ist die gute Nachricht: Im Vorjahr hatte die Steigerung noch 2,6 Millionen Tonnen betragen. Tatsächlich sogar geringfügig gesunken sind die Nährstoff-Importe aus den Niederlanden– die aus den anderen Bundesländern jedoch gestiegen. Und tatsächlich sind auch die Tierzahlen in Niedersachsen rückläufig: Es gibt 61.000 Schweine und 190.000 Stück Geflügel weniger als noch im Vorjahr. Dafür sind 16.000 Rinder hinzugekommen. Und weil ein Rind, grob gesagt, je einer, ein Schwein aber 0,16 und ein Huhn sogar nur 0,004 „Großvieheinheiten“ entspricht, kommt es misttechnisch auf eine Stagnation heraus.

Das ist Meyer natürlich klar: Vom Ziel einer Trendumkehr sei man noch „weit entfernt“, sagt er daher auch. Zumal die Grundwasserbelastung bereitet ihm Sorgen: Die Hälfte der Messstellen wiesen Nitratgehalte von mehr als 50 Milligramm pro Liter auf, und „diese anhaltend hohe Belastung unseres Wassers ist nicht hinnehmbar“, sagt Meyer. Nicht nur, weil der Wert den EU-Grenzwert überschreitet und Brüssel dem Land deshalb Strafzahlungen aufbrummen könnte.

Als „zu hoch gegriffen“ bewertete Werner Hilse, der Präsident des Landvolks, so heißt der Bauernverband in Niedersachsen, den im Bericht kalkulierten Stickstoffüberschuss von 81.000 Tonnen. Statistisch wird nur der Handel erfasst, nicht der Verbrauch. Der Überschuss errechnet sich aus der Summe von organischem und in Niedersachsen gekauftem Mineraldünger im Verhältnis zur Agrarfläche. Da würde man bei 62 Kilo pro Hektar liegen. Damit sei „der düngerrechtlich zulässige Rahmen überschritten“, folgern die Berichterstatter: Er werde „einfach nicht eingehalten“. Diese „Überdüngung belastet unsere Böden, das Wasser und das Klima“, warnt Meyer. Umso wichtiger sei es, „dass der Bund uns mit einem novellierten Düngegesetz endlich in die Lage versetzt, gezielter zu kontrollieren“. Erst dann ließen sich „Nährstoffströme abgleichen“.

Scheiße, sortiert

Die Gesamtmenge von 33,9 Millionen Tonnen Wirtschaftsdünger speist sich aus vier Hauptquellen.

Gärreste aus Biogasanlagen machen mit 17,9 Millionen Tonnen 53 Prozent der Abgaben aus.

Die Schweinegülle hat mit 7,2 Millionen Tonnen einen Anteil von 21,3 Prozent am Aufkommen. Sie setzt sich aus Mastschweine-, Sauen- und Ferkelgülle sowie etwas Jauche zusammen.

Gülle, Mist und Jauche von Rindern – Milchkühe, Mastbullen, Kälber sowie Färsen – behaupten mit 6 Millionen Tonnen oder 17,7 Prozent Platz 3.

An Mist von Hähnchen, Puten, Enten und Gänsen wurden, inklusive Legehennen-Trockenkot, nur 1,9 Millionen Tonnen erfasst, 5,8 Prozent: Sie beinhalten 28,6 Prozent des verbrachten Phosphors.

Hilse will sie vor allem ausgleichen: Der Landvolkpräsident plädiert dafür, den Kotüberschuss aus den durch Massentierhaltung geprägten Landkreisen, den so genannten Veredelungsregionen, in die Ackerbaugebiete zu verfrachten, wo ein großer Teil des Tierfutters herkommt. Das wäre dann eine „echte Kreislaufwirtschaft“ in seinem Sinne. Wichtig sei es deshalb, in Ackerbauregionen die Errichtung von Güllelagerstätten zu ermöglichen.

„Mit dieser Art von Kreislaufwirtschaft können wir wenig anfangen“, kritisiert Tilman Uhlenhaut diesen Ansatz: „Nährstoffe gehören nicht auf die Straße“, sagt der BUND-Agrarreferent. Es sei nötig, Mist dort einzusetzen, wo er entsteht – und wenn die Massentierhaltung einen Überschuss an Gülle produziere, sei dessen Abtransport eine denkbare Notmaßnahme. „Aber das geht nur aufs Symptom“, so Uhlenhaut. Die nötige Trendumkehr sei nur durch eine Abkehr von der Massentierhaltung zu schaffen. „Dabei muss man auch darüber nachdenken, wie es möglich ist, bereits bestehende Anlagen loszuwerden.“ Eine flächengebundene Tierhaltung in bäuerlichen Betrieben, „da muss man teilweise wieder hin zurück“.

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1 Kommentar

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  • Der "Spiegel" veröffentlichte im August einen interessanten Artikel dazu, wie die Politik gedenkt, das Problem der hohen Nitratbelastung des Grundwassers "anzugehen": Laut einem internen Vorschlag der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser soll die Anzahl der Messstellen einfach von 162 auf 700 erhöht werden - und zwar vor allem außerhalb jener landwirtschaftlichen Gebiete, die aufgrund intensiver Düngung der Felder besonders belastet sind. Für Niedersachsen beispielsweise bedeutete dies, dass statt 71 % nur noch 38 % der Messstellen eine Überschreitung des Grenzwertes aufwiesen (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-138273595.html).

     

    Ein weiteres Problem im Zusammenhang mit der Gülle-"Flut", das meines Erachtens ebenfalls auf jede Titelseite gehört hätte, jedoch medial ebenso vernachlässigt wurde, ist die Belastung von Gemüse mit antibiotikaresistenten Keimen: Wie"WISO" berichtete,

    fand ein ein niederländisches Forscherteam in 40 % der untersuchten Mungobohnensprossen antibiotikaresistente Keime. Auch in Deutschland wurde man fündig: In fast der Hälfte der untersuchten Proben (Salat, Gurken, Sprossen) konnten antibiotikaresistente Keime nachgewiesen werden! Diese gelangen durch Gülle auf die Felder und in der Folge auf das Gemüse. Bei asiatischem Gemüse lag die „Trefferquote" gar bei 73 %! Eine systematische Kontrolle des Gemüses auf antibiotikaresistente Keime erfolgt nicht.

    Der befragte Mikrobiologe prognostiziert, dass die Lebenserwartung um 15 Jahre sinken werde, wenn man die Problematik nicht in den Griff bekomme (http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/2593840/Antibiotika-resistente-Keime-auf-Gemuese#/beitrag/video/2593840/Antibiotika-resistente-Keime-auf-Gemuese).