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Jasmin RamadanEinfach gesagtAlles flimmert so schön bunt hier

Foto: Roberta Sant’anna

Wozu gibt es Jahresrückblicke? Ich hasse Jahresblicke!“, sagt die Freundin am Telefon.

„Mach doch einfach die Glotze aus.“

„Nee, ich guck jetzt nur noch Fernsehen, ich gestalte nichts mehr selber, ich habe beschissene Laune, ich kapituliere, ich lasse mich nur noch berieseln, bis alles vorbei ist.“

„Guck doch zumindest Netflix oder such dir was Anständiges in einer öffentlich-rechtlichen Mediathek.“

„Nee, ich will die totale Zufälligkeit, ich gebe mich der Tatsache des Ausgeliefertseins radikal hin.“

„Dadurch, dass du fernsiehst?“

„Genau, und ich guck nur das, was gerade läuft, die einzige Entscheidung, die ich noch selber treffe, ist, wann ich umschalte.“

„Das ist ja schon mal eine Menge Autonomie.“

„Wahre Freiheit gibt es nur beim Fernsehen, niemals in echt.“

„Früher, also ganz früher, musste man fürs Umschalten noch aufstehen.“

„Die körperliche Aktivität, die einer Geschmacksentscheidung folgte, war relativ hoch.“

„Und es gab nur drei Sender, man sah zwangsläufig irgendeinen Quatsch.“

„Ja, zu Beginn ging es dem Volk nur ums Glotzen, es hatte kaum eine Wahl.“

„Eigentlich eine interessante Herausforderung mit dem klarkommen zu müssen, was dir vorgesetzt wird!“

„Was zum Henker hat dir das Hirn verdreht? Das ist doch der Horror, denk das mal weiter, du trainierst quasi, in einem totalitären System zu leben.“

„Unsinn, es ist bloß fernsehen.“

„Nee, es fängt immer damit an, was du dir brachial reinziehst.“

„Lass uns ein Experiment machen, wir wählen drei Sender und gucken bis Sylvester nur die und wir dürfen nur umschalten oder die Lautstärke regeln, indem wir aufstehen und zum Fernseher gehen.“

„Und was soll das bringen?“

„Weiß nicht, irgendeine Retro-Erkenntnis.“

„Nö, da geh ich lieber spazieren. Spazieren­gehen ist ein solider Klassiker, da modernisiert sich nie was dran.“

„Gleich ist Spahn live zum Impfstart auf Phönix!“

„Okay, ich schalt dann rein.“

„Ich liebe alles, was live ist.“

„Wieso?“

„Das hat so was gesellig Gemeinschaftliches und ich schrulle trotzdem schön allein rum und keiner kann mich sehen.“

„Da läuft gerade schon wieder ein Jahresrückblick in der Wiederholung. Wir wissen doch zur Genüge, was war. Warum alles noch einmal abspulen?“

„Wegen des Resümees, um es rund zu machen.“

„Aber nix ist rund, es geht sowieso weiter, der erste Januar ist bloß ’ne Nummer, die Imagination eines Neuanfanges.“

„Alles ist Imagination, ich glaube an den Solipsismus.“

„Was bedeutet das?“

„Dass es dich gar nicht gibt, sondern ich dich erfunden habe, du existierst nur in meinem Bewusstsein, und alles andere auch.“

„Dann mach Corona jetzt wieder weg.“

„Kein Problem, bin schon dabei.“

Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr letzter Roman „Hotel Jasmin“ ist im Tropen/Klett-Cotta-Verlag erschienen. Sie war für den diesjährigen Bachmann-Preis nominiert. In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.

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