Japanischer Roman „Brüste und Eier“: Mit leichter Hand gewebt
Mit „Brüste und Eier“ bringt die japanische Autorin Mieko Kawakami einen literarisch gelungenen Roman heraus. Nur das Happy End ist etwas schal.
Natsuko ist 30 Jahre alt, lebt allein in Tokio in einer winzigen Wohnung, schlägt sich mit Aushilfsjobs durchs Leben und schreibt unablässig vor sich hin – in der schwachen Hoffnung, sich irgendwann einmal Schriftstellerin nennen zu können.
Eines Tages, es ist Sommer und brütend heiß in der Stadt, kommt ihre große Schwester Makiko mit Tochter Midoriko aus Osaka zu Besuch. Beide sind gerade in einer schwierigen Phase. Der zwölfjährigen Midoriko werden mit beginnender Pubertät die unheimlichen Vorgänge im weiblichen Körper bewusst.
Die monatlichen Blutungen, mit denen manche Klassenkameradinnen schon prahlen, und die Existenz von Eierstöcken mit Abermillionen Eiern auch in ihrem eigenen Körper. Der Verstörung, die dieses unausweichliche biologische Schicksal bei ihr hervorruft, begegnet sie mit langen Einträgen in ihr Tagebuch.
Mit ihrer Mutter kommuniziert sie im Übrigen auch nur schriftlich. Schon seit zwei Monaten hat sie nicht mehr mit Makiko gesprochen, die sich derweil an einer eigenen physischen Obsession abarbeitet. Der Grund ihres Besuchs in Tokio ist nämlich der sehnliche Wunsch, sich die Brüste vergrößern zu lassen – und das, obwohl Makiko als einfache Angestellte eines Nachtklubs eigentlich nicht die Mittel zu dem Eingriff hat. Ich-Erzählerin Natsuko beobachtet ratlos das Mutter-Tochter-Drama von Schwester und Nichte, das schließlich in einer veritablen Eierschlacht kulminiert.
Mieko Kawakami: „Brüste und Eier“. Aus dem Japanischen von Katja Busson. Dumont Buchverlag, Köln 2020. 496 Seiten, 24 Euro
Welche Rolle spielt das Konzept Frau?
Der Titel „Brüste und Eier“ benennt kurz und prägnant die Kernprobleme dieser Erzählung, deren Urversion Meiko Kawakami bereits 2008 schrieb und die sozusagen die Keimzelle des nunmehr erschienenen gleichnamigen Romans ist, dessen größter Teil neun Jahre nach dem Eierdrama spielt. Im folgenden Hauptteil weitet sich die enge biologistische Problemstellung des Anfangs aus zu einer großen Erzählung darüber, welche Rolle die Konzepte „Frau“, „Mutter“, „Kind“ – und in sehr viel geringerem Maße auch „Mann“ und „Vater“ – für das menschliche Dasein spielen.
Bei Natsuko, inzwischen Ende 30 und als Autorin anerkannt, tickt die biologische Uhr: Natsuko will ein Kind. Ein Problem dabei ist der Umstand, dass es keinen Mann in ihrem Leben gibt. Und wenn sie einen hätte, wäre das ohnehin schwierig, denn Natsuko hasst Sex.
So beginnt sie sich über Möglichkeiten der künstlichen Befruchtung zu informieren (für Alleinlebende in Japan nicht legal möglich) und kommt dabei auch in Kontakt mit einem Selbsthilfeverein, in dem sich Menschen zusammengeschlossen haben, die aus einer anonymen Samenspende hervorgegangen sind und darunter leiden, nie erfahren zu haben, wer ihr Vater ist.
Dieser Hauptstrang der Handlung zieht sich unaufdringlich durch den Roman, der sich überwiegend in Dialogen entwickelt. Natsukos Schwester und die inzwischen erwachsene Nichte sind in ihrem Leben präsent, für die Handlung aber in den Hintergrund getreten.
Schwergewichtige ethische und Sinnfragen
Wichtiger sind nun andere Frauen, mit denen Natsuko zusammentrifft und die gleichsam symbolische Funktion übernehmen, indem sie alternative Lebenswege und Schicksale repräsentieren: Natsukos Lektorin etwa, eine intellektuelle, erfolgreiche Frau, die kinderlos ist und bei aller Liebe zur Literatur stirbt, ohne etwas von sich zurückzulassen.
Das Gegenbild dazu ist die Bestsellerautorin Yusa, die ein entzückendes kleines Kind hat, ohne Mann lebt und flammende feministische Reden hält, aber nur populäre Romane ohne literarischen Wert produziert. Für Natsuko, so ist zwischen den Zeilen herauszulesen, gilt es, zwischen diesen aus ihrer Sicht nicht hundertprozentig optimalen Lebensentwürfen für sich selbst und ihr potenzielles Kind den richtigen Weg zu finden.
Es sind schwergewichtige ethische und Sinnfragen, die Mieko Kawakami ihr Romanpersonal verhandeln lässt, doch im Rahmen eines mit leichter Hand gewebten Konversationsromans, hier und da durchbrochen mit Passagen von traumähnlicher Fantastik.
Allein seine literarische Qualität macht „Brüste und Eier“ in hohem Maße lesenswert, auch ohne dass eigens hervorgehoben werden müsste, wie sehr Kawakamis eigensinnige Romanfiguren sich abheben vom immer noch in Teilen der japanischen Gesellschaft bestehenden Normbild der sich den Bedürfnissen des Mannes unterordnenden Frau.
Hat eine Frau ein Recht auf Mutterschaft?
Aber wenn man denn schon eine weltanschauliche Einordnung des Romans vornimmt, gäbe es auch Möglichkeiten der kritischen Anmerkung. Derselbe Biologismus, der sich im ersten Teil des Romans – der eingangs geschilderten „Brüste und Eier“-Erzählung – so treffend satirisch dargestellt findet, wird im weiteren Fortgang der Handlung nicht mehr annähernd so dringlich hinterfragt.
Welches Recht, ließe sich nämlich auch fragen, hat Natsuko überhaupt, sich ein Kind zu wünschen? Hat der Mensch ein Recht auf Fortpflanzung? Eine Frau auf Mutterschaft? Braucht mensch etwa das Muttersein, um sich als Frau zu fühlen?
Zwar gibt es auch eine Romanperson, die vehement die Ansicht vertritt, dass alles Kinderkriegen nur Ausdruck eines rücksichtslosen Egoismus sei. Doch diese Figur ist eine selbstmordgefährdete junge Frau mit durch Missbrauch stark geschädigter Psyche, vertritt also eine absolute Außenseiterposition, die durch eben diese Missbrauchshistorie bedingt ist. Und Natsukos irgendwie inhärenter Drang, sich zu reproduzieren, steht am Ende ebenso biologistisch unhinterfragt da wie die weibliche Monatsblutung.
Natürlich ist ein Happy End meistens irgendwie schön, aber in diesem Fall wirkt es nach einem so groß aufgefahrenen diskursiven Apparat tatsächlich ein bisschen zu simpel.
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