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„Jamel rockt den Förster“ bleibtAnti-Nazi-Festival wehrt bürokratischen Angriff ab

Die Veranstalter von „Jamel rockt den Förster“ wehren sich vor Gericht erfolgreich gegen strengere Auflagen. Aber der Landkreis gibt noch nicht auf.

Die Geschichte geht weiter: 2022 feierte das Festival sein 15-jähriges Bestehen, es kamen rund 3.500 Menschen Foto: Danny Gohlcke/dpa

Hamburg taz | Das Festival „Jamel rockt den Förster“ kann voraussichtlich doch ohne strenge Auflagen stattfinden. Das Verwaltungsgericht Schwerin hat am Donnerstag die Veranstaltungsvorgaben des Landkreises Nordwestmecklenburg abgewiesen. Geklagt hatten zuvor die Ver­an­stal­te­r:in­nen Birgit und Horst Lohmeyer.

Das Ehepaar veranstaltet das Musikfestival gegen rechts bereits seit 2007. Das aus Hamburg stammende Paar war vor über 20 Jahren in das 35-Seelen-Dorf in Mecklenburg-Vorpommern gezogen, das seit Jahren als „nationalsozialistisches Musterdorf“ bekannt ist. Begleitet von zahlreichen Drohungen und Angriffen protestiert das Ehepaar seither gegen die Vereinnahmung von Jamel durch Neonazis.

Durch ihren beständigen Widerstand erlangten die Lohmeyers deutschlandweite Unterstützung und Bekanntheit. Sogar zahlreiche Stars wie etwa die Toten Hosen, die Ärzte, die Fantastischen Vier und Fury in the Slaughterhouse spielten schon auf dem Festival, das ursprünglich als familiäres Sommerfest geplant war. Mittlerweile besuchen jedes Jahr bis zu 3.000 Menschen das kleine Dorf in der Nähe von Wismar.

Jahrelang durften Lohmeyers Flächen der Gemeinde als Parkplätze nutzen. Jetzt will die Gemeinde Gägelow, zu der Jamel gehört, eine Pachtgebühr von mehreren Tausend Euro. Weil das Ehepaar daraufhin eine tagelang andauernde Versammlung anmelden wollte, kündigte der zuständige Landkreis Nordwestmecklenburg für das Festival zahlreiche Auflagen an.

Gemeinde will auf einmal hohe Gebühren

Die Lohmeyers wähnten hinter dem Vorgehen eine Strategie gegen ihr politisches Engagement. Schließlich werde ein Teil dieser Gemeindeflächen an einen Neonazi in Jamel verpachtet, erklärte Birgit Lohmeyer bereits im Januar im Gespräch mit der taz. Dieser zahle dafür nur rund 60 Euro – fürs ganze Jahr.

In einem Eilantrag hatte das Ehepaar gegen die Vorgaben geklagt. Das Gericht in Schwerin hat der Klage der Ver­an­stal­te­r:in­nen nun stattgegeben und mehrere Auflagen wie etwa ein Glasflaschen- und Alkoholverbot sowie die Bereitstellung von deutlich mehr Ordnungskräften für das Festival vorerst gekippt.

Für potenzielle Gefahren für die Sicherheit und Ordnung des Dorfes, die etwa durch Alkoholkonsum der Be­su­che­r:in­nen entstünde, fehle es an „eindeutigen Referenzfällen“, so das Gericht. Auch die Verwendung von Glasflaschen könne nicht verboten werden. In einer Mitteilung verwies das Gericht auf „gerichtsbekannte und offenkundige Erfahrungen der Vorjahre“.

Dieses Engagement verdient breite Unterstützung und darf keine Steine in den Weg gelegt bekommen – schon gar nicht vom Landrat

Julian Barlen, Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion

Aufgrund der Nähe zu neonazistischen Dorf­be­woh­ne­r:in­nen und des potenziellen Besucher­andrangs müssen die Ver­an­stal­te­r:in­nen der Polizei dieses Jahr allerdings erstmals vorab die Namen der auftretenden Personen nennen. Bisher hatte das Ehepaar die Künst­le­r:in­nen bis zum Auftritt geheim gehalten.

Mit der Entscheidung zufrieden

Die Lohmeyers sind mit der Entscheidung des Gerichts zufrieden. Man sei froh, dass die Auflagen gekippt wurden und hoffe, dass das Open-Air-Festival wie geplant am 22. und 23. August stattfinde. Allerdings kündigte der Landkreis kurz nach Verkündigung des Beschlusses an, Beschwerde einlegen zu wollen.

Die SPD kritisiert das Vorgehen des CDU-Landrates. „Dieses Engagement verdient breite Unterstützung und darf keine Steine in den Weg gelegt bekommen – schon gar nicht vom Landrat“, teilte der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Julian Barlen, mit.

Sollte der Widerspruch erfolgreich sein, werden die Auflagen vor dem Oberverwaltungsgericht in Greifswald verhandelt. Ob es dazu kommt, bleibe abzuwarten, sagt Birgit Lohmeyer: „Auch wir können nicht in die Glaskugel gucken.“

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