Jahrestreffen "Netzwerks Recherche": Ein Star namens Sußebach
Beim Jahrestreffen des "Netzwerks Recherche" haben vor allem die jüngeren Teilnehmer die Edelfedern von "Zeit" und "Spiegel" hofiert - aus "Sehnsucht nach einem inneren Geländer".
Opa hat vom Krieg erzählt, und alle wollten dabei sein. Dass der Auftritt von Günter Wallraff beim Jahrestreffen der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche am Wochenende für die meisten Besucher eine Pflichtveranstaltung sein würde, war so klar, dass die Organisatoren vorsorglich keine Konkurrenzveranstaltung gegen den Mann, der bei Bild Hans Esser war, angesetzt haben. Das hat sich nur die UEFA getraut - mit mäßigem Erfolg. Im Foyer des NDR-Konferenzzentrums schauten vielleicht 20 Leute die EM-Partie Niederlande - Frankreich, während im Saal mehr als 200 verfolgten, wie Wallraff eine Stiftung zur Förderung verdeckter Recherchen forderte und seine Rückkehr im vergangenen Jahr mit den pathetischen Worten begründete: "Ich werde gebraucht, die Zustände verlangen danach."
Der andere Star der Veranstaltung war Henning Sußebach. Ein sanfter Mittdreißiger, der den Kisch-Preis für seine in der Zeit erschienene Flaschensammlerreportage "Hoffmanns Blick auf die Welt" als "schöne persönliche Konsequenz" seiner Arbeit bezeichnet. Auch sein Vortrag "Der Bettler vor der Haustür - wie finde ich ein Reportagethema?" war überlaufen, diesmal allerdings zur Überraschung der Veranstalter, die ihm ursprünglich einen zu viel zu kleinen Raum zugewiesen hatten. Dass dieser Sußebach so ein Publikumsmagnet sei - damit habe er nun wirklich nicht gerechnet, sagte Thomas Leif, der 1. Vorsitzende des Netzwerks Recherche: "Ich beobachte bei vielen jungen Kollegen eine Sehnsucht nach Idolisierung, nach einer Art innerem Geländer." Auch die Werkstattberichte der anderen in Kooperation mit der Initiative "Reporter-Forum" eingeladenen Edelfedern wie Alexander Osang und Stephan Lebert waren gut besucht, in der Tat vor allem von den jüngeren Teilnehmern. Hier konnten sie endlich mal all ihre Fragen zum Recherchieren für Reportagen loswerden, die ihnen kein Lehrbuch beantwortet, zum Beispiel wie man Nähe zu seinen Protagonisten auf- und später wieder abbaut. Fragen also, die sie auch erfahrenen Kollegen stellen könnten - wenn sie denn welche hätten. Ihre Unsicherheit resultiert aus den Jobperspektiven für junge Journalisten, die meist freiberuflich arbeiten müssen, weil sie keine Festanstellung finden.
Dass freie Journalisten und ihre Kollegen in den schlecht besetzten Lokalredaktionen mit ihren Arbeitsbedingungen hadern, ist nachvollziehbar. Dass sie sich davon ihr Selbstbewusstsein nehmen lassen, ärgerlich. Im Gespräch mit den prominenten Referenten vorne auf dem Podium machten sich viele Teilnehmer klein, beklagten, dass sie weder Zeit noch Budget hätten, um auch so tolle Reportagen zu schreiben. Mal abgesehen davon, dass Geld keine Reportagen schreibt und es schon immer Themen gab, die Flaggschiffen wie Zeit und Spiegel vorbehalten waren, ist dieser reflexhafte Verweis auf die Widrigkeit der Umstände eine allzu bequeme, lähmende Haltung.
Doch zum Glück gibt es mittlerweile Initiativen wie "frei sein" und "Freischreiber", deren Mitglieder sich um eine konstruktive Wendung dieses Minderwertigkeitskomplexes bemühen, die - man glaubt es kaum - sogar betonen, dass sie gerne freiberuflich arbeiten. Auch sie präsentierten sich im Rahmen des vollgepackten zweitägigen Programms - während parallel dazu der Telekom-Sprecher Philipp Schindera von Kuno Haberbusch, Redaktionsleiter des NDR-Medienmagazins "Zapp", zur Telekom-Affäre in die Zange genommen wurde. Auf dem Podium "Das Wirken der Anderen - Geheimdienste und Journalismus" stellte sich auch BND-Präsident Ernst Uhrlau den unbequemen Fragen der versammelten Journalisten. Das Programm war vielseitig, die Gäste hochkarätig - auch wenn Friedrich Küppersbusch seine Rede zum "Fernsehen zwischen Trash und Anspruch" kurzfristig absagen musste und IOC-Vizepräsident Thomas Bach seine "Verschlossene Auster" partout nicht persönlich entgegennehmen wollte.
Gemeckert wurde natürlich trotzdem in den zahlreichen Pausen - vor allem darüber, dass das kleine Bier vom Fass doppelt so teuer war wie im Vorjahr: Es kostete zwei Euro.
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