Jahrestagung Deutsches Atomforum: "Persönlich geht's mir gut, aber sonst..."
Studentenfutter, ein Flexibike und Reden - die Nuclear Community schwankt zwischen Verunsicherung und Selbstbehauptung. Doch echte Kampflust kommt nicht auf.
BERLIN taz | Das Rad hat etwas Hinterfotziges. Das "Flexibike" ist das Erste, worauf man hier auf der "Jahrestagung Kerntechnik" im Berliner Congress Center stößt. Es ist ein schwarzes Hollandrad, im Lenkerkorb blühen bunte Blumen. Das Rad ist aufgebockt, davor läuft auf einem Bildschirm ein Computerspiel ab. Sobald man in die Pedale tritt, bewegt man sich in der Animation an Windkraftanlagen vorbei. "Sie sind die Atomkraft", erläutert eine schwarz gekleidete Hostess. Man soll so schnell radeln, dass die von der Atomenergie gelieferte "Grundlast" erreicht wird, das ist vorgegeben. "Kernenergie erfahren", verkündet ein Text auf dem Bildschirm. Zu erleben sei, "was die flexible Kernenergie täglich leistet. Sorgen Sie für die notwendige Grundlast und unterstützen Sie die Erneuerbaren."
Der Witz am Radelspiel: Die Erneuerbaren können der Animation zufolge die Grundlast fast nie liefern, frühmorgens ohne Sonne nicht, ohne Wind ebenso wenig. Wer trotzdem brav für die atomare Grundlast gestrampelt hat, der erhält eine Dose Studentenfutter. Darin 60 Prozent Nüsse, die für die konventionellen Kraftwerke stehen, 23 Prozent Kürbiskerne (Kernenergie) und 17 Prozent Früchte (Erneuerbare). Auch Deutschland brauche "den richtigen und verlässlichen Energiemix", heißt es auf der Blechdose, "Kernenergie sichert 23 Prozent der Stromerzeugung und sogar 46 Prozent des Stroms, der rund um die Uhr zur Verfügung steht. Eine wirtschaftliche und stabilere Alternative gibt es heute nicht."
Es sind schwere Zeiten für die traditionsreiche "Konferenz der Atomlobby", wie die sonst so nüchterne Deutsche Presse-Agentur (dpa) das Treffen kurzerhand nennt. Die dreitägige Tagung des Deutschen Atomforums und der Kerntechnischen Gesellschaft (KTG) fand bis zum gestrigen Donnerstag zum 42. Mal statt - doch noch nie stand die "Nuclear Community", wie man hier sagt, so im Feuer.
Drei Kontrollen
Draußen vor der Tür sind sicherheitshalber mehrere Mannschaftswagen der Polizei aufgefahren, alle Besucher müssen durch drei Kontrollen und eine Metalldetektorenschleuse wie am Flughafen. Auf dem Alexanderplatz jenseits der Straße demonstrieren Anti-Atom-Aktivisten. Nur wenige sind es, und ihre Bühne ist klein, aber immerhin harren sie drei Tage aus. Ähnlich hartnäckig ist ein einsames Spruchband am Balkon eines benachbarten Hochhauses: "Berlin grüßt seine Gäste, auf Atomlobbyisten können wir verzichten."
Das alles wäre für die rund 1.300 Fachleute aus 16 Ländern wohl zu ertragen - wenn da nicht der von der Bundesregierung angekündigte schnellere Ausstieg aus der Atomenergie wäre. Die vielen Männer in ihren dunklen Anzügen (Frauen sind sehr selten) sind ganz offensichtlich verunsichert. Das ist schon am Dienstag bei Ralf Güldner zu erleben. Der Präsident des Atomforums hält eine zwölfseitige Eröffnungsrede im leicht bonbonfarben ausgeleuchteten großen Saal, der seinen einstigen DDR-Schick nicht verleugnen kann.
Der angespannt wirkende Güldner erntet nur einmal Applaus: Als er am Ende seiner Rede die deutsche Nuclear Community lobt, die "eine hochentwickelte Sicherheitskultur" lebe, aber in der öffentlichen Debatte diffamiert werde: "Es ist unerträglich, wenn Beschäftigte der Kerntechnik beschimpft werden, weil sie verantwortungsbewusst ihre Arbeit leisten. Bei allem Respekt für politischen Streit und öffentliche Auseinandersetzung dürfen solche Verhältnisse nicht hingenommen werden." Das trifft die Stimmung hier. Manche rufen "Bravo!" im Saal.
"Zusammenstehen, oder sie werden uns einzeln hängen"
Jan Bens von der World Association of Nuclear Operators spricht zu den "Ereignissen in Japan", wie er die Atomkatastrophe in Fukushima verschämt nennt. Der Belgier zitiert ein schönes Wortspiel des US-amerikanischen Verfassungsvaters Benjamin Franklin: "We must all hang together or they will hang us separately - Wir müssen alle zusammenstehen, oder sie werden uns einzeln hängen."
Kaum jemand lacht darüber. Es war wohl auch nicht witzig gemeint. Die 43-jährige Astrid Petersen, auf der Tagung zur neuen KTG-Chefin bestimmt, versucht es deftig: Man müsse einen "Arsch in der Hose" haben. Und kämpfen. Es ist bei den "Nukis", wie sie sich selbst gern neckisch nennen, wie so oft in Männerdomänen: Jüngere Frauen dürfen erst dann ans Lenkrad, wenn die Karre endgültig im Dreck steckt.
Nein, die Stimmung war schon mal besser in den etwas verwinkelten Tagungsräumen des Congress Centers. Grüppchenweise stehen die Männer in ihren Anzügen neben den 50 Ständen zusammen. Immer wieder hört man traurige Sätze wie "Mal sehen, wie es weitergeht", "Der Rotstift hängt schon sehr locker" oder "Persönlich geht es mir gut - sonst ist es schwierig". Immerhin, in den Pausen zwischen den 220 Workshops gibt es, vielleicht als Trost, unglaublich viel zu essen und zu trinken.
Alles ist kostenlos. Zander, Tortellini, Würstchen, Kuchen, Desserts, Salzstangen, Bonbons, kleine Salate und Fingerfood, dazu Saft, Wasser, Bier und Wein bis zum Abwinken. Schon mittags. Geld scheint hier keine Rolle zu spielen. Wie viele Millionen Euro machen die deutschen Atomkraftwerke noch mal Gewinn pro Jahr? Wenn so manche älteren Herren mit rotem Kopf und leichter Alkoholfahne vorbeihasten, ist man ganz froh, diese gerade mal nicht im Schaltraum eines Atomkraftwerks zu sehen.
Hier wird viel Frust und Sorge weggetrunken - auch bezüglich der eigenen Zukunft. Horst Rothenhöfer redet, leicht schwäbelnd, darüber. Der 43-Jährige ist Mitarbeiter der Amtec GmbH, die "Altersmanagement für Kernkraftwerke" anbietet, wie er erklärt. Auf die Frage, ob manche hier Angst hätten, in fünf Jahren arbeitslos zu sein, antwortet er: "Das ist auch für mich möglich." Auch deshalb bemühe er sich derzeit, einen Auftrag aus Brasilien an Land zu ziehen.
Internationale Experten
Ein junger Forscher sagt: Wer nur in Deutschland Arbeit finden könne oder Dienstleistungen nur hierzulande anbiete, sei gefährdet. Aber die meisten hier seien Experten, die auch international Jobs machen könnten. Und den Konzernen sei das hiesige Geschäft ja nur eines von vielen. Insgesamt sei man hier vor allem unschlüssig: Solle man in die Öffentlichkeit gehen, um die gesellschaftliche Debatte zu "versachlichen" - oder sei zunächst Schweigen besser, um nicht mit einer Verteidigung der Kernkraft Öl ins Feuer zu gießen?
Joachim Knebel, Chief Science Officer am Karlsruher Institut für Technologie hat sich da entschieden: "Die guten Ingenieure in Deutschland" bekämen "einen überlegten Ausstieg" hin, meint er. Ein zu schneller jedoch könnte die Wirtschaft schädigen. "Aber in 10 oder 12 Jahren ist das mit hohem Kostenaufwand zu schaffen. Und wenn die Energiewende funktioniert, könnte sie ein Exportschlager sein."
Zunächst aber werden die Reihen geschlossen - und schon Anflüge von Feigheit genau registriert. Das wird am Dienstagabend deutlich, als, wie immer bei der Jahrestagung, die Camerata Nucleare spielt. Das Laien-Orchester, wenige Wochen vor Tschernobyl gegründet, hat wegen der Dreifachkatastrophe in Japan das Programm geändert. Man müht sich nun statt an ursprünglich geplanten Operettenhits wie "Ich bin die Christel von der Post" tapfer an Mendelssohn, Mozart und Haydn.
"Kulturbotschafter"
Zuvor sagt Hans-Jürgen Goebelbecker eine paar Worte: Als "Kulturbotschafter der Kerntechnik" verstehe man sich weiterhin, sagt der Kopf des Orchesters, ja: "Wir stehen zu euch. Wir sind bei euch auch in schweren Zeiten!", ruft er. Viel Applaus erhält er dafür. Vielleicht aber werde man in Zukunft doch den Namen des Ensembles ändern. Ein lautes "Oh!" und "Ach!" ertönt - "nur vielleicht", schiebt Goebelbecker fast ängstlich hinterher. Das Orchester habe auch keine ideologischen Probleme, mal bei der Eröffnung eines Windparks zu spielen, sagt der Musikus. Ein "Pfui!" ist zu hören. Aber das war wohl ironisch gemeint.
Die 52-jährige Muraleedharan Vijayalakshmi besticht unter den Anzugträgern schon wegen ihres bunten Saris. Die indische Forscherin vom Indira Gandhi Centre for Atomic Research steht für die ungebrochene Faszination der Schwellenländer für die Atomkraft. Die deutsche Nuclear Community müsse die Regierung überzeugen, dass ein Ausstieg aus der Kernkraft falsch sei, sagt sie lächelnd - etwa wegen des nun wieder steigenden CO2-Ausstoßes und des derzeitigen Imports von französischem Atomstrom nach Deutschland. Das sei eine "tough challenge".
Ähnlich rückhaltlos preist auch Yoshiaki Ieda von der japanischen Atomenergie-Agentur JAEA die Kernkraft. Er tut dies am späten Mittwochnachmittag im Saal B09 in der etwas schläfrigen Fachsitzung zu "Natriumgekühlten schnellen Kernreaktoren". Ungerührt vom mit Tschernobyl vergleichbaren GAU in seiner Heimat, verkündet der Experte: Der geplante Schnelle Brüter JSFR solle 2025 anlaufen: "JSFR shall overcome the Fukushima number one power plant accidents." Diese Brütertechnik ist hierzulande schon vor 20 Jahren gescheitert. In Kalkar. Der höfliche Japaner hat noch Zeit für ein Interview. Er rede ja nur für sich, betont er. Aber einen Rat an die deutsche Nuclear Community habe er schon, sagt er mit einem kurzen Lachen: "Please fight!"
Aber ist jemand zum Kämpfen bereit? Wenn die Nukis das Congress Center verlassen und über die Straße Richtung Alex gehen, stoßen sie auf der Verkehrsinsel auf einen Spruch, den jemand mit weißer Kreide auf das Trottoir geschrieben hat: "Die meisten hier wollen keine Atomkraft und verachten Ihre Arbeit." Es ist zum Davonlaufen! Wo verdammt ist das Flexibike?
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