Jahrestag des Aufstands in Syrien: 1.000 Menschen fliehen an einem Tag
Am Jahrestag des Beginns der Proteste gegen Assad haben Regierungstruppen ihre Präsenz in den Protesthochburgen erhöht. In Idlib sind 23 Opfer einer Hinrichtung gefunden worden.
BEIRUT/ISTANBUL dapd/dpa | Anlässlich des ersten Jahrestags des Beginns der Proteste gegen den syrischen Präsidenten Baschar Assad sind am Donnerstag tausende Regime-Anhänger in Damaskus auf die Straße gegangen. Gleichzeitig verstärkten die Regierungssoldaten ihre Präsenz in den Oppositionshochburgen, wo Großkundgebungen gegen Assad geplant waren.
„Es ist offensichtlich, dass sie die Belagerung aus Sorge darüber verstärkt haben, was die Bevölkerung am Jahrestag vorhat“, sagte der Aktvist Adel al Omari in der südlichen Provinz Daraa, wo der Aufstand gegen Assad begann. „Es sind mehr Soldaten an den Kontrollpunkten und sie nehmen viele Menschen fest.“ Am frühen Donnerstagmorgen seien Soldaten mit Panzern vorgerückt und hätten Ladenbesitzer festgenommen, sagte ein weiterer Aktivist, Raed al Suleiman.
Oppositionelle warfen dem Regime vor, Menschen zur Teilnahme an Pro-Regierungs-Demonstrationen zu zwingen. Bei der Kundgebung in Damaskus am Donnerstag protestierten die Assad-Anhänger gegen die nach ihrer Ansicht seit einem Jahr andauernde Verschwörung gegen ihr Land. Sie werfen ausländischen Kräften und Terroristen vor, hinter den Unruhen zu stecken.
Die Syrer gingen erstmals Mitte März des vergangenen Jahres auf die Straße, um politische Reformen einzufordern. Die größten - und anfangs friedlichen - Demonstrationen begannen am 18. März. Nun greifen Oppositionelle verstärkt zu den Waffen, um gegen die Regierungstruppen zu kämpfen.
Tausende fliehen in die Türkei
Viele Menschen fliehen angesichts der Lage in die Nachbarländer. Innerhalb von nur 24 Stunden seien mehr als 1.000 Syrer in die Türkei geflohen, sagte der türkische Außenministeriumssprecher Selcuk Ünal am Donnerstag. Damit seien nun mindestens 14.700 syrische Flüchtlinge im Land. Den Vereinten Nationen zufolge sind seit Beginn der Proteste mehr als 7.500 Menschen ums Leben gekommen.
Auf einem Feld in der Nähe der syrischen Stadt Idlib sind 23 Opfer eines Hinrichtungskommandos entdeckt worden. Das meldeten Aktivisten am Donnerstag unter Berufung auf Augenzeugen. Nach ihren Angaben konnten 19 der Leichen inzwischen identifiziert werden.
Die Männer seien alle an den Händen gefesselt gewesen und mit einem Kopfschuss getötet worden. Sie seien offensichtlich von den Truppen des Regimes von Präsident Baschar al-Assad nach Beginn der Militäroffensive in Idlib vor sechs Tagen verschleppt und auf dem Gelände eines Bauernhofes im Westen der Stadt verhört worden.
Saudi-Arabien schließt seine Botschaft
Auch in Frankreich war für Donnerstagabend eine Kundgebung anlässlich des Jahrestags des syrischen Aufstandes geplant, an der auch der Vorsitzende des oppositionellen syrischen Nationalrats, Burhan Ghaliun teilnehmen sollte.
Forderungen der nach den jüngsten Niederlagen geschwächten syrischen Rebellen nach Waffenlieferungen durch die internationale Gemeinschaft erteilte Frankreich am Donnerstag eine Absage. Das könne zu einer noch größeren Katastrophe im Land führen, sagte Außenminister Alain Juppé am Donnerstag im französischen Rundfunk. "Die syrische Bevölkerung ist tief gespalten, und wenn wir Waffen an eine bestimmte Fraktion der syrischen Opposition geben, würden wir einen Bürgerkrieg zwischen Christen, Alawiten, Sunniten und Schiiten anstoßen."
Angesichts der anhaltenden Angriffe der Regierungstruppen hat nach den USA sowie mehreren europäischen und arabischen Ländern auch Saudi-Arabien seine Botschaft in der syrischen Hauptstadt Damaskus geschlossen. Alle Diplomaten und das Belegschaftspersonal seien aus Syrien abgezogen worden, meldete die amtliche saudische Presseagentur am Mittwochabend.
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