Amnesty-Bericht zu Syrien: Systematische Folter in Gefängnissen
Seit Beginn der Proteste wird laut Opferaussagen in syrischen Gefängnissen gefoltert. Die syrische Armee hat eine blutige Offensive in der Provinz Idlib gestartet.
KAIRO/DAMASKUS dpa | In syrischen Gefängnissen wird nach einem neuen Bericht von Amnesty International seit Beginn der Massenproteste gegen Präsident Baschar al-Assad systematisch gefoltert. Angesichts der Brutalität des Regimes rufen seine Gegner immer lauter nach einer Militärintervention. Diie Truppen von Präsident Baschar al-Assad gehen in der Provinz Idlib an der Grenze zur Türkei gegen Oppositionelle vor. Die syrische Führung kündigte unterdessen Parlamentswahlen für den 7. Mai an.
Wie die Gefangenenhilfsorganisation in einem am Mittwoch veröffentlichten Bericht mit dem Titel „Ich wollte sterben“ schreibt, hat das Ausmaß der Misshandlungen ein neues Niveau erreicht und erinnert an das brutale Vorgehen des Regimes in den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts.
In diesem Bericht erzählen Opfer von 31 Foltermethoden. Die oft bei Massenverhaftungen Festgenommenen seien bei ihrer Ankunft in den Gefängnissen mit Stöcken, Gewehrkolben oder Fäusten geschlagen oder ausgepeitscht worden. In der Regel seien die Neuankömmlinge bis auf die Unterhosen ausgezogen worden. Manche mussten bis zu 24 Stunden draußen verbringen.
Bei Verhören seien einige Gefangene mit gefesselten Händen aufgehängt worden, so dass sie gerade mit den Zehenspitzen den Boden berührten, und geschlagen worden. Auch Elektroschocks gehörten laut Bericht zur Befragungspraxis. In einigen Fällen sei die Gefängniszelle unter Wasser gesetzt worden, um den Strom zum Inhaftierten zu leiten.
Amnesty International wertete die Aussagen als weiteren Beweis dafür, dass in Syrien Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt wurden. Interviewt wurden den Angaben nach Dutzende Syrier, die nach Jordanien geflohen waren.
Massaker in Idlib
Nach der syrischen Protesthochburg Homs nehmen die Truppen von Präsident Baschar al-Assad jetzt die Provinz Idlib an der Grenze zur Türkei in die Zange. In der Provinz, in der bei der Offensive am Dienstag zahlreiche Menschen umgekommen sein sollen, halten sich viele Deserteure auf. Oppositionelle berichteten am Mittwoch von Massakern in der Provinzhauptstadt Idlib und verlustreichen Gefechten in Dörfern an der Grenze zur Türkei. Am Mittwoch wurden im Bezirk Dschabal al-Sawija nach Angaben der Organisation Syrischer Menschenrechtsbeobachter ein Aktivist und zwei Deserteure getötet.
In dem grenznahen Dorf Al-Dschanudija seien den Truppen Waffen und Munition der Deserteure der oppositionellen Freien Syrischen Armee (FSA) in die Hände gefallen, hieß es. Die FSA soll sich nach mehrtägigen Angriffen der Armee aus der Stadt Idlib zurückgezogen haben. Die Deserteure sind den Regierungstruppen nach Einschätzung westlicher Militärs von ihrer Bewaffnung her deutlich unterlegen.
Neue Angriffe der Regierungstruppen meldeten die Oppositionellen am Mittwoch auch aus den Provinzen Homs, Hama und Daraa. Am Dienstag sollen in Syrien insgesamt 110 Menschen getötet worden sein. Dazu zählen nach Angaben der Protestbewegung 40 Männer, die in Idlib in der Nacht zum Dienstag hingerichtet worden seien.
Die zahlreichen Todesopfer der vergangenen Wochen lasten schwer auf dem oppositionellen Syrischen Nationalrat (SNC). Ein Oppositionsportal veröffentlichte am Mittwoch eine Erklärung des bekannten Regimekritikers Kamal al-Labwani, in der dieser seinen Austritt aus dem SNC bekanntgab. Er warf der SNC-Spitze Tatenlosigkeit und Heuchelei vor.
Nationalrat fordert Intervention
In einer in der Nacht zum Dienstag veröffentlichten Erklärung schreibt der Nationalrat: „Wir fordern ein militärisches Eingreifen der arabischen Staaten und der internationalen Staatengemeinschaft“. Der Rat appellierte erneut an die Arabische Liga und an den Westen, eine Flugverbotszone über dem gesamten Staatsgebiet und Schutzzonen für Zivilisten einzurichten. Die „Tötungs- und Zerstörungsmaschinerie“ müsse ausgeschaltet werden. Zudem baten sie, Waffen an die Deserteure der Freien Syrischen Armee zu liefern. „Wir haben keine andere Wahl mehr, als uns mit Waffengewalt zu wehren“, sagte Bassam Ishak, ein Mitglied des Syrischen Nationalrates dem Nachrichtensender Al-Arabija.
Tunesiens Ministerpräsident Hamadi Jebali wies die Forderung der Oppositionellen vehement zurück. Ein militärisches Eingreifen wäre „reiner Wahnsinn“ und würde Assad den Vorwand liefern, um seine Armee noch schärfer vorgehen zu lassen, sagte er in einem Interview mit Spiegel Online.
In Damaskus kündigte das Regime Wahlen für den 7. Mai an. Ende Februar war in Syrien eine neue Verfassung in Kraft getreten, in der die Vormachtstellung der regierenden Baath-Partei nicht mehr festgeschrieben ist. Dennoch stellt die bevorstehende Wahl wohl keine Bedrohung für das Assad-Regime dar. Denn Beobachter gehen davon aus, dass eine saubere und faire Abstimmung in weiten Teilen des Landes wegen der Kämpfe und des Klimas der Angst ohnehin nicht möglich ist.
Die US-Außenamtssprecherin Victoria Nuland sagte am Dienstag in Washington: „Parlamentswahlen für ein Erfüllungsgehilfen-Parlament mitten in dieser Art Gewalt, die wir überall im Land sehen, sind lächerlich.“
Die Assad-Truppen hatten in der Nacht zum Montag allein in der Widerstandshochburg Homs nach Angaben von Aktivisten 57 Zivilisten massakriert, die meisten von ihnen Frauen und Kinder. Nach UN-Schätzungen sind in dem seit einem Jahr andauernden Konflikt inzwischen etwa 8000 Menschen getötet worden. Das UN- Flüchtlingshilfswerk UNHCR in Genf schätzte die Zahl der in die Nachbarländer geflohenen Syrer auf rund 30 000. Innerhalb Syriens selbst unterstütze das UNHCR rund 97 000 geflohene Menschen.
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