Jahresrückblick I:: Der Absturz des Friedbert P.
Das Jahr 2008 bedeutete das Ende des einstigen Hoffnungsträgers der CDU. Friedbert Pflüger verlor den Fraktionsvorsitz, und nicht mal mit einem Listenplatz für die Europawahl kann er sich trösten.
Der ehemalige CDU-Fraktionsvorsitzende Friedbert Pflüger ist in diesem Jahr gescheitert wie kein anderer prominenter Berliner. Die Art und Weise, wie Pflüger sich - mit kräftiger Unterstützung seiner Partei - demontierte, sorgte selbst beim politischen Gegner für Mitleid.
Der Konflikt schwelte bereits länger. Pflüger war im Jahr 2006 aus der Bundespolitik zur Berliner CDU gewechselt, da der Landesverband dringend einen Spitzenkandidaten suchte und in den eigenen Reihen keinen fand. Pflüger wollte die Partei öffnen und aus ihr eine "liberale Großstadtpartei" machen, wie er es nannte.
Doch er musste schnell feststellen, dass die Berliner CDU da nicht mitziehen wollte. Die Partei ist in ihrem Herzen noch immer und vor allem eine Westberliner CDU. Ihre Anhänger und Funktionäre identifizieren sich mit anderen Themen: Während Pflüger schon Anfang der 90er-Jahre auf den Klimawandel hinwies und für alternative Verkehrskonzepte warb, berauschte sich seine Partei weiter an verstaubter Rosinenbomber-Romantik. Während Pflüger über ein Jamaika-Bündnis mit den Grünen und der FDP diskutierte, wollte seine Partei davon nichts hören.
Sein Problem war freilich auch, dass es ihm nicht gelang, die Gunst der Berliner zu gewinnen. In den Umfragen krebste die Partei, die von 1981 bis 2001 fast durchgängig den Regierungschef stellte, unter 25 Prozent.
Pflüger verpasste es zudem, sich eine eigene Hausmacht in der CDU aufzubauen. Er brachte keinen eigenen Stab an Mitarbeitern mit und glaubte, die Partei mit seinen Inhalten überzeugen zu können. Doch vielen hiesigen Parteifunktionären sind Inhalte ziemlich egal - Hauptsache, sie können ihre kleine Provinzmacht verteidigen und Pfründen für sich und die eigenen Getreuen sichern.
In diesem System wurde Pflüger zum Störfaktor. Auslöser der letzten Krise war dann ein Artikel in der Morgenpost, in dem von Putschgerüchten gegen Pflüger die Rede war. In einer Überreaktion ging Pflüger in die Offensive und kündigte an, den Parteivorsitz von Ingo Schmitt übernehmen zu wollen.
Doch damit überrumpelte Pflüger selbst seine eigenen Anhänger. In einer nächtlichen Krisensitzung in einem Spandauer Hotel redeten die zwölf Kreisvorsitzenden so lange auf Pflüger ein, bis der zurückzog. Um am nächsten Tag endgültig in den Amok-Modus zu wechseln: Er warf seinen Parteifreunden vor, ihn unter Druck gesetzt zu haben. Er habe nur einem "faulen Kompromiss" zugestimmt, den er hiermit aufkündige. Danach war Pflüger auch in der Fraktion nicht mehr haltbar. Drei Tage später wählte sie ihn ab.
Damit hätte die Sache für die CDU erledigt sein können. Doch nun meldete sich die Basis - von der bundesweiten Berichterstattung über den Vorgang aufgeschreckt - zu Wort und forderte Reformen: Die Partei müsse basisdemokratischer werden, offener, transparenter. Am Ende musste Parteichef Ingo Schmitt zurücktreten. Sein Nachfolger Frank Henkel organisiert jetzt eine behutsame Reform der Partei.
Friedbert Pflüger hingegen sucht weiterhin nach einer neuen Herausforderung. Bei der Kandidatur für die Listenaufstellung zur Europawahl fiel er durch. Er habe jedoch mehrere Angebote aus Politik und Wirtschaft vorliegen, verkündete er. Das ist inzwischen allerdings auch schon eine Weile her; Pflüger sitzt weiterhin als einfacher Parlamentarier im Abgeordnetenhaus. Im Dezember schaffte er es noch mal kurz ins Licht der Öffentlichkeit: Das Stadtmagazin Tip brachte ihn auf einer Liste der "100 peinlichsten Berliner" auf Platz 16.
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