„Jacobin“-Chefin über linkes Magazin: „Eine Utopie ist ein Leitstern“
Ines Schwerdtner ist Chefredakteurin von „Jacobin“. Ein Gespräch über enttäuschte Hoffnungen und die ewige Suche nach der großen linken Erzählung.
taz am wochenende: Frau Schwerdtner, in Deutschland gibt es zahlreiche linke Zeitungen, Portale und Magazine. Wozu eine weitere Zeitschrift?
Ines Schwerdtner: Ja, stimmt, die linke Presselandschaft ist in Deutschland größer als beispielsweise in den USA. Dennoch fehlte uns etwas. Wir haben das Magazin gegründet, weil wir ein schickes, lesbares und trotzdem radikales politisches Magazin wollen. Publikationen für ein bestimmtes Milieu haben wir in Deutschland tatsächlich ausreichend. Unser Ziel ist es, die gesellschaftliche Linke zu vergrößern. Wir versuchen nicht nur diejenigen anzusprechen, die ohnehin schon links sind.
Wie kann das gelingen?
Durch eine sehr demokratische Sprache und einen anderen Zugang. Wir wissen, dass wir Linken einen bestimmten Jargon sprechen und Debatten haben, die außerhalb niemanden interessieren und die kein Mensch versteht. Es ist unsere Aufgabe, die vielen klugen Gedanken aus diesen Kreisen in die Öffentlichkeit zu tragen. Wir sind uns für den Weg über die Popkultur nicht zu schade. Dieser Weg ist vielversprechend, denn er setzt am Alltagsverstand der Leute an.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Allerdings geht es in den ersten online verfügbaren Artikeln um Dinge wie EU-Finanzpolitik, die Klimakrise, den Richtungsstreit in der britischen Labour-Partei. Nicht gerade leichte Themen.
Wir müssen natürlich eine Mischung schaffen aus kurzen Kommentaren, die einfacher verständlich sind, und tiefergehenden Analysen. Auf diese wollen wir nicht verzichten. Unser Ziel ist die Übersetzung in Alltagssprache, auch wenn das natürlich nicht immer gelingt. Wir müssen auch mal polemisieren und zuspitzen, dafür wird es dann aber gelesen.
Polemisierend ist auch Ihr Werbeclip. Darin sieht man einen Millionär, der auf einem Luxusboot sitzt und verschmitzt grinsend erzählt: „Wenn der Rest der Welt wüsste, wie es ist, auf so einer Yacht zu leben, bringen sie die Guillotine zurück.“
Der Witz an dem Video ist, dass er das selbst sagt. Dass er sich selbst ausstellt, ist etwas anderes, als ihn an den Pranger zu stellen. Es ist ja allen Menschen schon irgendwie klar, wer von diesem System profitiert. Das ist der Aufhänger der Zeitschrift. Die Frage ist nun, wie wir dazu kommen, eine andere Politik zu machen.
Darunter verstehen Sie den demokratischen Sozialismus. Wie sieht denn Ihre Vision einer sozialistischen Zukunft aus?
Im Kern geht es um eine menschliche Gesellschaft. Alles was dagegen steht, müssen wir anprangern. Wenn Menschen ausgebeutet werden, im Meer sterben oder auf der Straße leben müssen, dann ist das keine menschliche Gesellschaft. Unsere Aufgabe ist, zu überlegen, wie es anders gehen könnte: Wie können wir unsere Wirtschaft demokratischer planen? Wie gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen?
Und wie?
Jahrgang 1989, ist Chefredakteurin der deutschsprachigen Ausgabe von Jacobin und Co-Moderatorin des linken Polit-Podcasts halbzehn.fm. Zuvor arbeitete sie bei der marxistischen Zeitschrift Das Argument.
Die Vision wäre, dass alle Menschen mitbestimmen können und zwar in allen Bereichen, sei es die Wirtschaft, Stadtplanung oder Kultur. Die Menschen sollen über ihre Zeit bestimmen können, und darüber, wie sie leben möchten. Das ist das alte sozialistische Credo. Es geht nun darum, wie das im 21. Jahrhundert umgesetzt werden kann.
Dafür braucht es eine verbindende linke Rahmenerzählung.
Die Rahmenerzählung muss im positiven Sinne die Frage beantworten: Wie können wir so leben und wirtschaften, dass wir nicht unsere Natur zerstören und eine menschliche Form des Zusammenlebens finden? Bei den Gewerkschaften und der Klimabewegung beispielsweise müssen wir klarmachen, dass es keine Interessen sind, die sich gegenüberstehen. Es ist unser gemeinsames Interesse, nachhaltiger und gemeinwohlorientierter zu wirtschaften. Daran führt kein Weg vorbei und dafür brauchen wir politische Macht.
Helfen gesellschaftliche Utopien dabei?
Unbedingt. Eine Utopie ist ein Leitstern, den man braucht, um politische Kämpfe im Kleinen durchzustehen. Man könnte ja nach politischen Niederlagen wie bei der Sanders-Kampagne sagen: Das war es, wir hören auf, aktiv zu sein. Es hilft, vorher schon mit Rückschlägen zu rechnen. Dieses System zu ändern, wird nicht leicht. Ebenso wenig wie es leicht wird, die Demokratische Partei in den USA oder die SPD zu verändern. Eine Utopie hilft, mit diesen Rückschlägen umzugehen.
Bernie Sanders ist ebenso wie die populäre Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez und andere Politpromis auf Ihrem ersten Cover zu sehen. Brauchen soziale Bewegungen Held*innen als Identifikationsfiguren?
Zumindest schaden sie nicht, wenn sie als Identifikationsfiguren dienen. Denn ohne diese kommen wir nicht aus. Es ist natürlich besonders gut, wenn eine Person verschiedene Widersprüche in sich vereinigt. In der Person von Alexandria Ocasio-Cortez, einer jungen Frau puerto-ricanischer Abstammung aus der Unterschicht der Bronx, lösen sich Klassen- und Identitätspolitik auf wunderbare Weise auf. Sie kann sowohl überzeugend vor feministischen Gruppen über Gewalt an Frauen als auch vor Arbeiterinnen und Arbeitern bei Toys „R“ Us sprechen.
Gleichzeitig können Held*innen davon ablenken, dass es gesellschaftliche Organisierung braucht, um Wandel herbeizuführen.
Die Rolle von Identifikationsfiguren ist ambivalent. Wenn große Personen scheitern oder Fehler machen, kann das dazu führen, dass die Bewegung den Mut verliert. Wir müssen natürlich aufpassen, dass Identifikationsfiguren nicht zu Heldenfiguren und als unfehlbare Menschen stilisiert werden. Daher haben wir neben den Figuren auf dem Cover, die jeder kennt, viele normale Menschen im Heft, die ihre Geschichten erzählen. Auf diese Menschen kommt es an.
Eine weitere Heldenfigur zeigt das Logo von „Jacobin“ mit dem „schwarzen Jakobiner“, wie die Aufständischen in der haitianischen Revolution hießen. Wieso dieses Symbol?
Unser Motto, die französische Revolution zu radikalisieren, steckt schon im Namen „Jacobin“. Die haitianische Revolution ist dafür ein schönes Beispiel, weil es um den Sklavenaufstand und die Selbstbefreiung der Menschen geht. Unsere Aufgabe ist es, die Ideale der französischen Revolution in die Wirklichkeit zu holen. Der schwarze Jakobiner ist nicht im historischen Gedächtnis der Deutschen. Daher unser Cover: Wir müssen jetzt eigene Geschichten erzählen von politischen Heldinnen und Helden.
Wer hat denn in Deutschland das Potenzial dazu? Etwa Kevin Kühnert, der ebenfalls auf dem Cover ist und den Sie in der ersten Ausgabe interviewen?
Kevin Kühnert ist zumindest ein Anwärter für die junge Politik sozialdemokratischer Art. Auch die Klimabewegung hat einige vielversprechende junge Frauen. Im Moment gibt es jedoch keine Figur, die die verschiedenen Milieus zusammenbringt und für die verschiedenen Facetten linker Politik begeistert. Die Person müssen wir noch finden.
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