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Ja zur Kohle, nein zum Kies

Einst stimmte der Landtagsabgeordnete Ulrich Freese (SPD) für Jobs und opferte dafür die Gemeinde Horno. Nun ist ihm eine Kiesgrube vor der eigenen Haustür zuviel  ■ Aus Spremberg Klaus Muche

Ulrich Freese steckt in der Bredouille. Als SPD- Landtagsabgeordneter in Potsdam hatte er im vergangenen Jahr dem „Braunkohlengrundlagengesetz“ zugestimmt, das die Erweiterung des Braunkohletagebaus Jänschwalde und die Abbaggerung des 370-Einwohner-Dorfes Horno besiegelte. Sein Hauptargument damals: Arbeitsplätze gehen vor. Nun droht ihm wieder eine ähnliche Auseinandersetzung – ausgerechnet in seiner Heimatstadt Spremberg.

Der ortsansässige Betonwerkbesitzer will ein Kiesvorkommen aufschließen. Eigenheime und ein Wohnkomplex müßten weichen. Dort aber wohnt eine äußerst sensible Bevölkerung: Arbeitslose, Vorruheständler, Bergarbeiter. Beiden Seiten wird Freese es auch dieses Mal nicht recht machen können. Und anders als in Horno tendiert er nun zum Bestandsschutz – auch wenn er das so sicher nicht sagen würde.

Das kleine südbrandenburgische Betonwerk BKN Baustoffwerke Schwarze Pumpe GmbH, das zu einem pfälzischen Unternehmen gehört, produziert seit 1993 im Schatten der riesigen Kühltürme des neuen Kohlekraftwerks (1,6 GW) Schwarze Pumpe: Pflastersteine, Filigrandecken, Treppen, Stützen und andere Fertigteile. Doch die allgemeine Krise im Baugewerbe ist auch hier zu spüren, die Betonwerker geraten zunehmend unter Druck. Neun der 92 Beschäftigten, das steht jetzt schon fest, werden das Werk bis zum Ende des Jahres verlassen müssen. Mindestens.

Einen Weg, weitere Entlassungen zu vermeiden, sieht Geschäftsführer Henning Kirmse nur in einer betriebseigenen Kiesgrube. Denn bisher wird der Kies aus dem sächsischen Boxberg angeliefert – ein zu langer und zu teurer Transportweg. Vor allem, weil unmittelbar neben dem Werksgelände Kies unter der Erde liegt. Viel Kies. Immer mal wieder hat in der Vergangenheit jemand die Erkundung des Vorkommens beantragt. Aber der Widerstand der Bevölkerung hat die Umsetzung bislang jedes Mal verhindern können. Denn in dieser Frage sind sich Bürger und Stadtobere ausnahmsweise einig: Man habe „jahrelang den Tagebau Welzow-Süd ertragen“, heißt es. „Das reicht uns. Wir wollen keine Kiesgrube.“ Kein Wort davon, daß die Spremberger jahrzehntelang von den Arbeitsplätzen im Braunkohletagebau profitiert haben.

Nahe an dem umstrittenen Gebiet wohnt inzwischen ein Rechtsanwalt der Laubag. Gleich um die Ecke hat sich in einem kleinen Wäldchen der Landtagsabgeordnete Ulrich Freese eingerichtet. Das Gebiet zwischen der Bundesstraße und der Spree ist heute eine akzeptable Wohngegend. Erst zum Jahresende wurden die Schornsteine des Kraftwerks Trattendorf gesprengt. Die Schwarze Pumpe stinkt und staubt nicht mehr, weil hier nun weder Kohlen gepreßt noch vergast werden. Kein Rauch, nur noch Dampf quillt von den hohen Kühltürmen, fast frei von allem, was Blätter welken und Karzinome wachsen läßt. Und hier soll nun eine Kiesgrube hinkommen?

Bei einer Versammlung der Bürgerinitiative ist Ulrich Freese mächtig ins Lavieren geraten. Denn als Bezirksleiter der hier mächtigen IG BCE, der Gewerkschaft der Berg-, Chemie- und Energiearbeiter, weiß er auch, was es heißt, wenn die Wirtschaft kriselt. Und wie das ist, wenn die Entscheidung Jobs gegen Lebensqualität ansteht: Denn eine Kiesgrube bedeutet Luftverschmutzung und Fahrzeuglärm.

Als Politiker bekommt er aber noch eine ganz andere Dramatik zu spüren. Wenn seine Nachbarn stur bleiben, werden ihn die Hornoer fragen: Und wieso dann wir? Freese, den Beifall der Bergarbeiter ebenso gewohnt wie die Wut der Bergbauvertriebenen, gibt sich ungewohnt nachdenklich: „Wir Spremberger Bürgerinnen und Bürger müssen ein Stück glaubwürdig bleiben.“ Manchmal müßten einzelne Zugeständnisse machen, sich umsiedeln lassen, aus ihrem angestammten Wohnort wegziehen – „auch mit Schmerzen, auch mit Lasten, damit einige tausend Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus dieser Region ihre Arbeit behalten können“. Aber mit einem Argument, das er in Horno des öfteren von der Gegenseite gehört hat, schränkt er heute ein: „Sehr wohl bin ich aber der Auffassung, daß es andere Lösungen gibt, die Arbeitsplätze zu erhalten, ohne daß vor Ihren und unseren Haustüren der wertvolle Kies abgebaut wird.“

Und weil er dafür alleine keine Lösung finden kann, würde er den Schwarzen Peter am liebsten einfach weitergeben. An seine fernen Kollegen in Potsdam und Bonn appelliert er: „Handelt vernünftig, schafft ordentliche wirtschaftliche Rahmenbedingungen, damit uns die Kiesgrube erspart bleibt.“

Inzwischen wartet der Geschäftsführer des Betonwerks auf die geologischen Analysen, die in den nächsten Wochen eintreffen sollen – und auf das Angebot einer Firma, die den Begleitrohstoff Kies vom Rand des kaum zehn Kilometer entfernten Tagebaus Welzow-Süd gewinnt.

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