JUGEND UND MEDIEN: "Nicht nur passiv konsumieren"
Jugendliche können Infos aus dem Netz nur schwer einordnen, sagt Heidi Schelhowe, Bremer Professorin und Leiterin einer Expertenkommission des Bundes
taz: Frau Schelhowe, Jugendliche in Deutschland nutzen das Internet ganz selbstverständlich und verbringen Studien zufolge 134 Minuten am Tag im Netz. Man könnte meinen, es sei gut um die Medienkompetenz Jugendlicher bestellt.
Heidi Schelhowe: Das stimmt. Es geht aber um mehr, als Medien nur bedienen zu können. Die Fähigkeit, sich in komplexe Programme einzuarbeiten etwa, ist bei vielen zu gering.
Zu diesem Schluss ist die Expertenkommission des Bundesbildungsministeriums jetzt gekommen, die Sie leiten?
Dass es diese Kommission überhaupt gibt, ist bereits eine Reaktion auf Klagen über zu geringe Medienkompetenzen bei Jugendlichen aus der Arbeitswelt. Laut Gewerkschaften und Arbeitgebern ist es in über 40 Prozent der Berufe erforderlich, mehr als die Standard-Computerprogramme bedienen zu können. Da braucht es die Fähigkeit, zu verstehen, was Programme tun und wie sie funktionieren.
Das ist es, was fehlt?
Nicht nur. Es reicht nicht, beispielsweise das Wort "Käfer" in eine Suchmaschine eingeben zu können und die zehn ersten Ergebnisse zu nutzen. Man muss wissen, ob die Maschine den gleichen Käfer wie man selbst meint, man muss die Informationen einordnen und auf den eigenen Kontext beziehen können. Es geht auch um ethische Fragen: Jugendliche können sich mit im Internet mit ihren Einträgen im Prinzip an eine Weltöffentlichkeit wenden - das ist eine unglaubliche Verantwortung, mit der man umgehen lernen muss.
Ist die Schule der Ort, an dem das geschehen sollte?
Nicht nur. Jugendliche sind im Netz hauptsächlich in ihrer Freizeit unterwegs. Deshalb muss Medienpädagogik vor allem an der Schnittstelle von Schule und Freizeit ansetzen. In Bremen gibt es dafür viele gute Ansätze.
Zum Beispiel?
Angebote, die Jugendlichen vor allem einen produktiven Umgang mit Medien vermitteln, gibt es an der Bremer Uni, aber auch an anderen Stellen, etwa dem "Servicebureau Jugendinformation". Dort lernen sie beispielsweise, eigene Internet-Videos zu erstellen. Dabei geht es darum, ihnen zu zeigen, wie sie kreativ mit Medien umgehen und dabei ihren eigenen Interessen nachgehen können - anstatt Medien nur passiv zu konsumieren. Flächendeckend fehlen solche Angebote allerdings noch.
Und was passiert an den Schulen in Bremen?
Dort gibt es - wie bundesweit auch - eine große Diskrepanz zwischen einer relativ guten Ausstattung mit Hardware und einem zu geringen Einsatz der Medien im Unterricht.
Woran liegt das?
Am klassischen Bildungsbegriff, der in Deutschland nach wie vor vorherrscht, Technik aber nicht mit einschließt. Man hat den Wert von Medienbildung noch nicht richtig erkannt. Der Umgang mit Medien gilt meist als etwas, das man zweckgerichtet erlernen sollte, zum Beispiel als Berufsausbildung.
Ist den Jugendlichen selbst bewusst, dass sie ihre Medienkompetenzen aus der Freizeit durchaus auch im Berufsleben brauchen können?
Das ist vor allem bei Jugendliches aus bildungsbürgerlichen Familien so. Haupt- und Realschüler dagegen nehmen die Bereiche als stark getrennt wahr. Es gibt Studien, nach denen viele Hauptschüler denken, Computerkenntnisse hätten nichts mit dem Berufsleben zu tun. Diese Übergänge müssen wir ihnen in der Bildungsarbeit zeigen.
Kennen Lehrer die Medienwelten ihrer Schüler überhaupt?
Studien zeigen, dass Lehrer Computer und Internet zwar in ihrer Freizeit und zur Unterrichtsvorbereitung nutzen. Von dem, was ihre Schüler dort tun, etwa in sozialen Netzwerken wie "Schüler VZ" oder "Facebook", wissen sie allerdings erstaunlich wenig.
Wo sollten Lehrer das lernen?
Es muss entsprechende Weiterbildungsangebote und bereits in der Lehrerausbildung ein Pflichtfach dazu geben. Kinder sind heutzutage stark über Medien sozialisiert - ein Thema, das in der Lehrerausbildung nicht wie bisher ausgespart werden darf.
Heidi Schelhowe, 61, ist Professorin für "Digitale Medien in der Bildung" an der Uni Bremen und Initiatorin eines Runden Tisches zum Thema mit Eltern, der Handelskammer und der Bildungsbehörde
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