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JETZT MAL IM ERNST … Frau Brauch, kann man Angst lieben lernen?„Sie werden es überleben“

INTERVIEW Franziska Seyboldt

taz.am wochenende: Frau Brauch, was ist eine gute Therapie?

Annette Brauch: Eine gute Therapie wäre eine, in der Sie zusammen mit der Therapeutin oder dem Therapeuten schauen: Wo kommt Ihre Angststörung her? Was sind die Faktoren, die die Störung auslösen und aufrechterhalten? Dann lernen Sie, damit umzugehen. Ich kann jemanden, der Angst auf Brücken hat, nicht auf eine Brücke stellen, ohne dass er etwas über die Gründe für seine Angst weiß, und sagen: So, jetzt aushalten. Bei Angsterkrankungen gehen Menschen aus der Situation raus, die sie ängstigt. In der Therapie sollen sie erfahren, dass die Angst von selbst wieder verschwindet. Dass sie es überleben werden.

Aber die Angst wird nie ganz verschwinden, oder?

Das kann wieder aufflackern, in belastenden Situationen. Aber die Verhaltenstherapie sollte den Patienten so gut zum Chef seiner Erkrankung machen, dass er das, was er gelernt hat, selbstständig wieder anwenden kann.

Kann man Angst lieben?

Angst ist etwas Gesundes. Das Ziel einer Verhaltenstherapie ist nicht, nie wieder Angst zu haben. Das ist unmöglich. Das Ziel ist, dass die Angst nicht das Leben bestimmt. Dass Sie aus der U-Bahn nicht zehnmal aussteigen, weil Sie Angst haben. Sondern nur noch fünfmal. Bis Sie keine Angst mehr haben und sitzen bleiben können. Das ist ein mühsamer Weg.

Aber gibt es Hoffnung auf eine Art Heilung?

Wichtig ist, welches Label Sie der Angst geben. Sagen Sie, das ist mein Feind und den muss ich bekämpfen? Oder sagen Sie, das ist mein Begleiter, der mir zeigt, wenn ich mir zu viel aufbrumme?

Was verknüpft Depressionen und Angst?

Die Angst. Wenn ich sehe, wie die Angst mich bestimmt, und mich das aus dem Leben nimmt. Weil ich zu Hause sitze und nicht mehr vor die Tür gehen kann und weiß, rund um mich herum, meine Freunde, die leben, und ich tue das nicht, dann kann das depressionsauslösend sein.

Wann merke ich, dass ich Medikamente brauche, weil die Therapie nicht weiterhilft?

Annette Brauch

Die Oberärztin und Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie ist 46 Jahre alt. Sie wurde in Göttingen geboren und hat dort Humanmedizin studiert. Seit acht Jahren arbeitet Annette Brauch an der Magdalenen-Klinik auf dem Harderberg in der Nähe von Osnabrück. In der Klinik wurde auch Nicholas Müller behandelt, der frühere Sänger der Band Jupiter Jones, mit dem unsere Autorin für ihre Geschichte über Angst gesprochen hat.

Wenn die Therapie nicht mehr weiterhilft, dann wird das ein Antidepressivum auch nicht tun. Die Verhaltenstherapie ist der Medikation überlegen. Medikamente ersetzen keine Therapie, sondern unterstützen sie nur.

Manchmal hatte ich so große Angst, dass ich dachte, ich werde verrückt. Wäre dann nicht die Zeit, eine Tablette einzuwerfen?

Dann sollte man eher ein beruhigendes Medikament nehmen. Antidepressiva müssen einen Spiegel haben, um zu wirken. Das bedeutet: Man muss Antidepressiva 10 bis 14 Tage nehmen, bevor sie ihre volle Wirkung entfalten. Das ist keine Notfalltablette.

Ist eine Depression gesellschaftlich anerkannter als eine Angststörung?

Jeder findet sich irgendwie darin wieder, tagelang todtraurig zu sein und nichts machen zu wollen. Das ist noch keine Krankheit, aber diese Gefühle kennen viele. Eine Panikstörung, wie ist das, wenn ich Kon­troll­verlust habe, wenn ich Angst habe, ohnmächtig zu werden, das können wenige nachvollziehen.

Was raten Sie den Menschen für die Zeit nach der Therapie in Ihrer Klinik?

Den meisten Patienten, die wir hier entlassen, eigentlich allen, raten wir ambulante Therapien. Wie Nicholas Müller in Ihrem Text so schön sagt: Die Klinik hier ist der Zauberberg. Wenn man dann in die Wirklichkeit kommt, dann muss man erst lernen, tatsächlich mit seinen Strategien umzugehen. Das ist nicht immer leicht. Es hilft, wenn man einen ambulanten Therapeuten an der Seite hat.

Ich mache Yoga und habe den Eindruck, dass mir das sehr hilft. Ist das nur bei mir so?

Angst ist etwas Gesundes. Das Ziel ist nicht, nie wieder Angst zu haben

Da gab es einen Artikel im Ärzteblatt, in dem stand, dass Yoga sich auf psychische Störungen, egal welche, positiv auswirkt. Es gibt auch Untersuchungen in der bildgebenden Diagnostik. Wenn man sechs Wochen lang jeden Tag zehn Minuten meditiert, dann ergeben sich schon strukturelle Änderungen im Gehirn. Man wird gelassener und hat eine höhere Stressresistenz.

Yoga ist also eine gute Unterstützung?

Ja, man fährt sich runter und reduziert so seine Stresshormone, welche die Angst antreiben können. In der Steinzeit sind die Menschen vor dem Säbelzahntiger weggelaufen oder haben gegen ihn gekämpft. Dann waren ihre Stresshormone unten. Dann war die Gefahr vorbei und die Angst auch. Und wenn ich aus der Angstsituation rausgehe und nicht danach Holz hacken gehe, dann nehme ich meine Stresshormone mit, weil ich sie nicht abgearbeitet habe.

Ist es sinnvoll für die Genesung, mit seiner Erkrankung an die Öffentlichkeit zu gehen?

Es macht vieles leichter. Ich muss mich nicht so verstellen, sondern kann sagen: Tut mir Leid, ich habe eine Angsterkrankung, und ich würde gern ins Kino gehen, aber ich kann momentan nicht. Aber es ist sicher nicht für jeden der richtige Weg.

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