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Italiens Fußballerinnen bei der EMDa geht noch mehr

Das italienische Team bestätigt die positive Entwicklung der vergangenen Jahre trotz aller Widrigkeiten. Gegen Norwegen will man weiter zulegen.

Ein Vorbild in vielerlei Hinsicht: Kapitänin Elena Linari im Spiel gegen Portugal Foto: Alessandra Tarantino/ap

Was für ein Statement, das Andrea Soncin nach dem Weiterkommen seiner Italienerinnen in der Gruppenphase in die Kameras sprach. Es gebe viele Ahnungslose, die den Fußball von Frauen schlecht redeten, kritisierte er da. Welche Hingabe es hier gebe, welch gegenseitigen Respekt, das wolle er mit nichts auf der Welt tauschen. Dann kamen dem Coach die Tränen: „Das hier ist der schönste Moment meines Lebens.“ Er habe keine Worte. „Es ist magisch.“

Mit so viel Liebe und eigener Verletzlichkeit hat im patriarchalen Italien selten ein männlicher Trainer über das Spiel der Frauen gesprochen. Auch das vielleicht ein Zeichen eines kleinen Kulturwandels, der da rund um die Azzurre passiert. Zum ersten Mal seit zwölf Jahren ist es dem Team gelungen, wieder ins Viertelfinale einer EM zu kommen. Und weil man mit Norwegen verhältnismäßig dankbare Gegnerinnen erwischt hat, muss dort nicht Schluss sein. In der Qualifikation trennten die beiden Teams sich zweimal mit Remis. „Es waren schwere Spiele und die Italienerinnen haben sich seitdem nochmal stilistisch weiterentwickelt“, lobte Norwegens Trainerin Gemma Grainger.

Italien steht tatsächlich nicht zufällig hier, das Team hat überzeugt bei dieser Europameisterschaft: Hinten kompakt, auf dem Platz gut sortiert, mit feinen Technikerinnen und sehr geradlinigen, effektiven Angriffen. Wenn sie gegen schwächere Gegnerinnen das Spiel machen müssen, sieht man, dass noch ein Stück fehlt im Vergleich zu den ganz großen Teams. Und doch ist bemerkenswert, welchen Weg die Italienerinnen gegangen sind, die lange als einziges Land unter den Big Five völlig im Abseits dümpelten.

Obwohl italienische Frauen in der Bewegung früh dabei waren und sogar die erste WM ausrichteten, fielen sie bald zurück. Man hat es nicht leicht daheim mit einem besonders schlagkräftigen Patriarchat, einer ignoranten männlichen Sportpresse und den Rollenbildern der mächtigen katholischen Kirche im Gepäck. Dazu verlor der italienische Gesamtfußball in den 2010er Jahren sportlich und infrastrukturell den Anschluss, bevor es zuletzt wieder aufwärts ging. Bringt diese EM nun den großen Durchbruch?

Vollprofiliga und Unterstützung für Mütter

Sportlich ist vieles in Bewegung. Seit 2022 ist die italienische Liga eine Vollprofiliga, im Gegensatz etwa zu Deutschland. Für Spielerinnen über 24 Jahren gilt ein Mindestgehalt von 20.000 Euro netto im Jahr. Der AC Mailand gab sich als erster europäischer Klub umfassende Regeln zur Unterstützung von Müttern. Gab es bis vor wenigen Jahren noch kaum Ausländerinnen in der Serie A, ist ihre Zahl in den letzten Jahren auf rund 120 gewachsen. Und ganz allmählich schaffen es auch Italienerinnen ins Ausland, etwa Arianna Caruso zum FC Bayern oder Sofia Cantore zu Washington Spirit.

Dass der Erfolg kein One-Hit-Wonder ist, zeigte sich im Juni bei der U19-EM: Dort haben die Italienerinnen das Halbfinale erreicht und sind erst in der Verlängerung an Spanien gescheitert.

Doch gerade an der öffentlichen Wirkung fehlt es noch. „Die Wahrnehmung des Turniers ist nicht besonders breit“, kritisiert die freie Sportjournalistin Marialaura Scatena, die das Turnier begleitet. „Es gibt keine großen Public Viewings. Und in puncto Werbung oder Berichterstattung in der Mainstreampresse passiert nicht viel.“

Die TV-Quoten seien gut, aber wenige Fans vor Ort, und die meisten davon seien Ita­lie­ne­r:in­nen aus der Schweiz. Das Turnier als große Welle? Vielleicht eher ein steter Tropfen, der den Stein höhlt.

„Ein Turnier kann emotional und erzählerisch sehr helfen, aber allein kann es die Dinge nicht ändern“, sagt Scatena. Sie erinnert sich an die WM 2019, als die Italienerinnen ebenfalls das Viertelfinale erreichten und man verpasst habe, davon zu profitieren. „Wir müssen die gesamte Sportkultur und Teilhabe im Frauensport vergrößern. In Italien fehlt es vor allem an dieser breiten Basis.“

Zugleich sind die Fortschritte unübersehbar. Und auf ideeller Ebene werden sie vielleicht symbolisiert von Kapitänin Elena Linari. 2019 hatte sie in Italien ihr öffentliches Coming-out. Was anderswo im Frauenfußball eher Achselzucken hervorruft, sorgte dort für große Schlagzeilen. „Italien ist noch nicht bereit für Homosexualität“, sagte Linari da und sprach offen über ihre Angst. Sechs Jahre später tritt Italien mit sechs offen queeren Spielerinnen bei der EM an. Und Linari trägt als erste italienische Kapitänin die Regenbogenbinde.

Auch sportlich strahlt das Team großes Selbstbewusstsein aus. Veteranin Barbara Bonansea hat kürzlich gesagt, dass man in der Gruppenphase ja nicht mal sein bestes Gesicht gezeigt habe und trotzdem weitergekommen sei. Sie erklärte: „Wir können es viel besser. Das gibt mir Hoffnung.“ Und Manuela Giu­gliano befand über Norwegen: „Wir wissen gut, was ihre Stärken sind, aber wir wissen auch, wo wir sie erwischen können.“ Hier spricht ein Team, das nichts zu verlieren hat. Und viel zu gewinnen.

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