Italienischer Journalist über freie Presse: "Unsere Sprache ist einfach und direkt"

Marco Travaglio ist Chefredakteur der freien italienischen Tageszeitung "Il fatto quotidiano". Im Interview erzählt er über abgelehnte Subventionen, Berlusconi und ihren großen Erfolg.

Will kritischen Journalismus verhindern: Italiens Ministerpräsident Berlusconi. Bild: dpa

taz: "Il fatto quotidiano" ging im September 2009 an den Start. Welches Auflagenziel hattet ihr damals?

Marco Travaglio: Wir wollten bei der verkauften Auflage ein Minimum von 12.000 Stück pro Tag erreichen. Als wir dann schon vor dem Start 30.000 Abos verkauft hatten, haben wir unser Ziel - bei dem wir schwarze Zahlen geschrieben hätten - auf 25.000 erhöht. Glücklicherweise verkaufen wir fünf Mal soviel; im Freiverkauf gehen täglich über 70.000 Exemplare weg, dazu kommen 40.000 Abonnements.

Andere Zeitungen müssen schließen oder kämpfen mit drastischen Auflagenrückgängen. Ihr dagegen könnt eine in Europa derzeit wohl einzigartige Erfolgsgeschichte verbuchen. Was ist das Geheimnis?

Wir schrieben die Nachrichten, die die anderen nicht bringen, entweder weil sie nicht wollen oder weil sie es sich nicht erlauben können. Und wir nennen die Dinge bei ihrem Namen, unsere Sprache ist einfach und direkt, wir verstecken Fakten nicht hinter politisch-journalistischem Jargon. Und da wir keinen "Padrone" haben, keinen Verleger, der uns Vorschriften machen kann, da wir zudem ganz wenig Werbung im Blatt haben und damit auch durch Werbekunden nicht erpresst werden können, da wir drittens anders als so viele Zeitungen in Italien keine staatlichen Subventionen kriegen, sind wir niemandem Rechenschaft schuldig - außer unseren Lesern.

Das taz.lab medien in Kooperation mit der Freitag-Fabrik findet im Haus der Kulturen der Welt in Berlin statt. Er beginnt am Freitag, 8. April 2011 ab 18 Uhr mit einer Auftaktveranstaltung und wird am Samstag, 9. April 2011 ganztägig fortgesetzt.

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Eintrittskarten für den taz Medienkongess 2011 können ab dem 15. Januar 2011 bestellt werden, entweder im tazshop direkt in der Rudi-Dutschke-Straße 23 oder via Internet. Die Karten kosten 10, 20 oder 30 Euro. Wir stellen es unseren BesucherInnen frei, einen dieser Preise zu wählen.

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Das taz.lab medien ist erreichbar unter taz.lab@taz.de.

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Marco Travaglio wurde 1964 in Turin geboren. Er ist renommierter Journalist, Publizist

und Schriftsteller. Seine Texte erschienen bei La Repubblica, LEspresso

und Unità. Seine Themen sind die Mafia, Justiz und Politik und

insbesondere die Regierung Berlusconi. Seit 2009 ist er Vizedirektor der

italienischen Tageszeitung Il fatto quotidiano.

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Il fatto quotidiano erscheint seit September 2009. Der Name der Zeitung

ist dem Journalisten Enzo Biagi gewidmet, den Berlusconi aus dem Dienst

des TV-Senders RAI entließ. Biagis politische Show hieß "Il Fatto".

Wir können uns mit den großen Banken anlegen, mit der Industrie, mit den Energiekolossen. Die ENEL hat uns zum Beispiel vor kurzem die Werbung im Blatt gestrichen, weil wir kritisch über den Börsengang von des Ökostrom-Tochterunternehmens ENEL Green Power berichtet hatten. Wir können so etwas mühelos verkraften und lassen uns nicht konditionieren. In den ersten Monaten hatten wir 21 Millionen Euro Erlös durch den Zeitungsverkauf und nur 486.000 Euro Werbeeinnahmen.

In Italien genießen Zeitungsverlage, die als Genossenschaft organisiert sind, kräftige staatliche Subventionen. Warum seid ihr diesen Weg nicht gegangen.

Wir glauben, dass eine Zeitung dann Sinn hat, wenn sie sich bei den Lesern durchsetzt. Außerdem werden die subventionierten Zeitungen erpressbar. Jedes Jahr erwägt die Regierung, sie zu kürzen oder ganz zu streichen - und jedes Jahr kann man besichtigen, wie der Ton der subventionierten Blätter gegenüber der Regierung vorsichtiger wird.

Mit oder Subventionen - auf Papier gedruckte Zeitungen gelten als Auslaufmodell. Jüngere Menschen sind im Internet unterwegs, statt sich am Zeitungskiosk rumzutreiben.

Wir haben insgesamt eine recht junge Leserschaft. Unsere Abonnenten sind im Schnitt unter 40, oft unter 30 Jahren. Und das Gros von ihnen hat ein Internet-Abo. Wir achten auch darauf, dass wir trotz des großen Erfolgs unserer traditionellen Zeitung den Anschluss nicht verpassen. Unser Online-Auftritt "ilfattoquotidiano.it" gehört mittlerweile zu den vier im Internet meistgeklickten Tageszeitungen. Täglich gehen im Schnitt 300.000 Besucher auf unsere Website. Das liegt nicht zuletzt daran, dass wir Dubletten-Angebote mit der gedruckten Zeitung so weit wie möglich vermeiden, auch wenn wir eine sehr kleine Web-Redaktion haben. Wie bei der Druckausgabe gilt aber: Der Erfolg lebt davon, dass wir jene Nachrichten bringen, die die Leute nicht im Fernsehen hören, die sie in den anderen Zeitungen nicht lesen.

Euer Erfolg wäre, böse gesagt, also weniger durch eigene Meriten zu erklären als dadurch, dass im Lande Berlusconis die anderen einfach ihren Job nicht machen? Droht Euch das Aus, wenn Berlusconis Kontrolle verschwindet?

Stimmt. Uns gäbe es nicht, wenn die Medien die Fakten, die Nachrichten brächten, wie es in anderen Ländern Normalität ist. Wir füllen in Italien ein enormes Vakuum. Aber Achtung: Dieses Problem kann man nicht auf Berlusconi zusammenkürzen. Traditionell sind unsere Zeitungen durch die Parteien konditioniert, durch die Banken, durch Großunternehmen, und dies so stark wie nirgendwo sonst. Denn bei uns haben Unternehmer und Parteien direkten Zugriff auf die Medien. Die Unternehmer kontrollieren die Presse - den klassischen, "reinen" Verleger gibt es praktisch nicht -, die Parteien kontrollieren das Fernsehen. Auch in den Jahren nach Berlusconi wird sich an diesem Zugriff wenig ändern. Medien, die nicht informieren, werden uns in großem Maßstab erhalten bleiben.

Apropos Information: In den letzten Wochen hielt Wikileaks mit seinen Enthüllungen die Welt in Atem. Ein neues Modell, das die Krise der "traditionellen" Medien weiter verschärfen wird - oder ging es da bloß um "Gossip"?

Wikileaks ist in ähnlicher Mission unterwegs wie wir. Und die Folgen werden nicht ausbleiben: In Zukunft können Diplomaten nicht mehr so leichthändig in der Öffentlichkeit das Gegenteil dessen sagen, was sie hinter verschlossenen Türen äußern. Aber aufgepasst: Wikileaks ersetzt den Journalismus nicht, es braucht ihn. Wikileaks stellt da hunderttausende Dokumente ins Netz, Berichte, Kablogramme etc. - und im zweiten Schritt sind dann Journalisten gefragt, um das enorme Material kompetent aufzubereiten und einem breiten Publikum im eigentlichen Sinne erst zugänglich zu machen.

Wikileaks ist das Archiv - und da müssen dann die Journalisten rein. Aber natürlich verteidigen wir Wikileaks. Da geht es eben absolut nicht bloß um Gossip. Klar, wir wussten, wer Berlusconi ist, das mussten wir da nicht erst nachlesen. Aber wir haben jetzt mit den veröffentlichten Dokumenten zum Beispiel schwarz auf weiß dargelegt bekommen, wie sehr die US-Diplomatie ihm misstraut, während hier immer erzählt wurde, das Verhältnis zu den USA sei ausgezeichnet.

Trotz eures sensationellen Erfolgs: Wie seht ihr die kommende Entwicklunge Papier versus online?

"Il fatto quotidiano" nutzt heute schon alle verfügbaren Kommunikationsinstrumente, die Social networks, Facebook, Twitter etc. Und wir würden in Zukunft gern auch mit Web-TV experimentieren; wir wissen allerdings noch nicht, ob wir uns das leisten können. Mag sein, dass die neuen Kanäle in Zukunft an Stelle des Papiers treten. Momentan allerdings passiert das noch nicht, auch weil in Italien Internet noch unterdurchschnittlich verbreitet ist. Der Auflagenschwund der anderen Zeitungen in Italien hat meiner Meinung auch nicht so sehr mit ihrer Papierform zu tun - sondern damit, was sie drucken. Unsere Leser sind Leute, die teils seit Jahren keine Zeitungen mehr kauften, oder jünger Menschen, die noch nie Zeitungen kauften. Die stoßen sich keineswegs daran, dass wir auf Papier rauskommen, weil sie jetzt endlich die Nachrichten lesen, die sie vorher nicht bekamen.

Und Sie selbst, lesen Sie lieber auf Papier oder auf dem iPad?

Für mich ist Papier unersetzlich, das kann man knicken, da kann ich unterstreichen - und wenn mich beim Lesen eine Fliege nervt, kann ich sie mit der Zeitung erschlagen.

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