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Italien und libysche MilizenFlüchtlingsdeal zerplatzt

Der libysche Warlord Dabashi ließ sich von Italien kaufen und wurde vom Schmuggler zum Schmuggelgegner. Jetzt zerbröckelt dieses Arrangement wieder.

Am 15. September: gerettete Flüchtlinge vor Libyen

Tunis taz | Im westlibyschen Küstenort Sabratha kämpfen Soldaten der libyschen Armee und Milizen des berüchtigten ehemaligen „Schmugglerkönigs“ Ahmed Dabashi seit Sonntag um strategische Punkte im Stadtzentrum. Damit stehen die Bemühungen von italienischer Seite, durch Zusammenarbeit mit Dabashi ein Ende der Fluchtbewegungen über das Mittelmeer zu erreichen, wieder vor dem Aus. Nachdem im Sommer die Zahl der afrikanischen Migranten im Mittelmeer deutlich zurückgegangen war, steigen die Zahlen inzwischen wieder: Vergangene Woche brachten Seenotretter rund 2.000 Flüchtlinge aus dem Meer nach Italien, 3.000 wurden von Libyens Küstenwache abgefangen und zurückgebracht, davon allein 1.047 am vergangenen Samstag.

Noch im Frühjahr legten über 70 Prozent der Flüchtlingsboote aus Libyen aus Sabratha ab und machten die Menschenschmugglerbosse zu Multimillionären. Der 60 Kilometer lange Sandstrand von Sabratha ist in Abschnitte aufgeteilt, an denen die meist aus Subsahara-Afrika stammenden Organisatoren des Schmuggels an libysche Bewaffnete Schutzgeld zahlen. Lange Zeit kassierten die meist aus dem 100 Kilometer entfernten Tunesien stammenden Kämpfer des „Islamischen Staates“ (IS) dabei erhebliche Summen. Die Menschenschmuggler zahlen üppige Schmiergelder in bar, Polizei und Küstenwache stehen faktisch unter ihrer Kontrolle.

Anfang des Jahres übernahmen ehemalige Revolutionäre die Kontrolle über Sabratha. Die Vertreibung des IS machte Ahmed Dabashi zu einem der mächtigsten Warlords in Libyen, und er übernahm das Menschenschmuggelgeschäft. Doch im August konnten Mittelsmänner der italienischen Regierung ihn davon überzeugen, die Seite zu wechseln. Dass dabei finanzielle Zuwendungen in Höhe von 9 Millionen Euro aus Rom flossen, bestreitet Dabashi, einige seiner Offiziere bestätigen dies jedoch gegenüber der taz.

Angeblich hatte Italiens Regierung eine Liste der Top-Schmuggler zusammengestellt. Dabashi drohte damit die Festnahme. Da war es klüger, aus seiner Miliz „Brigade 48“ und der seines Bruders eine Anti-Migranten-Truppe zu machen: Sie haben ein Polizeigebäude am Hafen von Sabratha in das „Department of Anti Illegal Immigration“ verwandelt.

Zivile Kräfte hatten vor Warlords gewarnt

Dabashis Kontakte nach Italien sind nicht neu. Vor seiner Machtübernahme in Sabratha stand er in den Diensten des libyschen Verteidigungsministeriums, als Chef der Wachtruppe des nahen Industriekomplexes von Italiens staatlicher Ölfirma ENI. Diese betreibt zwischen Sabratha und Zuwara ein Verladeterminal und eine Pumpstation für die Greenstream-Pipeline, die 17 Prozent des italienischen Ölbedarfs deckt.

Nun, da er seine eigene Antimigrationsbehörde hat, sieht sich Dabashi offenbar nicht mehr dem libyschen Staat verpflichtet. Die neuen Kämpfe in Sabratha wurden durch die Tötung eines Dabashi-Milizionärs durch Regierungssoldaten ausgelöst.

Zivile Kräfte hatten davor gewarnt, auf Warlords zu setzen. „Hilfe an nichtstaatliche Akteure führt zu mehr Chaos“, kommentierte der Bürgermeister von Sabratha, Hussein Douadi, italienische Hilfslieferungen an das lokale Krankenhaus. Der politische Analyst Ayoob Sufyan aus Zuwara sagt: „Diese Art von Friedensinitiativen wird nur kurzfristig die Abfahrt der Boote stoppen, langfristig jedoch nicht. Denn die Botschaft ist, dass man nur mächtig genug sein muss, um ein Gesprächspartner der internationalen Gemeinschaft zu werden. Europa fördert das Entstehen neuer Milizen.“

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4 Kommentare

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  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Was passiert mit Migranten, wenn sie von dieser Miliz gefaßt werden? Es wird hier viel und informiert über die Täter gesprochen, doch wo sind die Opfer? Sind sie einfach verschwunden, nachdem sie vom Boot geholt und wieder nach Libyen zurück gebracht worden?

     

    Es gibt keinen Plan für sie, keine Integration, kein UN-Flüchtlingslager (da wollen sie auch nicht hin). Ist das eine der Milizen, die Konzentrationslager für Flüchtlinge mit EU-Geldern führt?

     

    Ich schreibe es so oft es sein muss: Ein Konzentrationslager macht sich durch den Zweck aus, nicht durch die Zustände. Auch die japanischen Amerikaner wurden im Zweiten Weltkrieg in Konzentrationslagern eingesperrt.

     

    Trittin und andere Politiker*innen verharmlosen den Sachverhalt krass, wenn sie von "konzentrationslagerartigen Zuständen" sprechen.

     

    Kriterium ist der Gebrauch der instrumentellen Vernunft und der Staatsgewalt, um politisch und sozial delegitimierte Personen zu konzentrieren und an der Bewegungs- und Handlungsfreiheit zu hindern.

     

    Für die Öffentlichkeit gilt dann: aus dem Auge aus dem Sinn. Auch in diesem Artikel hier sind die Opfer verschwunden, nachdem sie "eingefangen" wurden, als illegale "Schmuggel"ware bis zur Entsorgung abgelegt in einem Lagerhaus für nicht verkaufsfähigen Ausschuss.

     

    Nach dem Holocaust haben die Deutschen gesagt: Wir haben von nichts gewußt.

     

    Auch diese Öffentlichkeit jetzt weiß nichts von den Konzentrationslagern, nur von irgendwelchen "Zuständen".

     

    Wo ist die Verpflichtung, dass es niemals wieder Konzentrationslager mit deutscher Hjlfe geben darf?

    Wo ist der Aufschrei der Presse, dass unsere Freiheit immer die Freiheit der anderen ist?

     

    Die Performance "Holocaust on the Beach" des Italieners Berardi wurde auf der documenta verboten. Sie würde die Verbrechen des Nationalsozialismus verharmlosen.

     

    Solches Handeln delegitimiert m.E. das Andenken an die Opfer des NS-Regimes, weil solches Andenken eben nicht einfach darin besteht, in staatstragenden Zeremonien Betroffenheit zu zeigen.

    • @85198 (Profil gelöscht):

      "Ist das eine der Milizen, die Konzentrationslager für Flüchtlinge mit EU-Geldern führt?"

       

      Finden Sie es angemessen, lybische Gefangenenlager mit den Vernichtungslagern der Nazis gleichzusetzen? Wie können Sie nur die industrielle Massenvernichtung mit diesen 3. Welt Gefängnissen auf eine Stufe stellen?

       

      Sie verharmlosen den Holocaust!

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @85198 (Profil gelöscht):

      Im Himalaya und in anderen Hochgebirgen der Welt sterben jährlich ein Haufen Menschen, weil sie das Risiko eingehen wollten. Das ist es ihnen wert. Sperren wir sie deswegen in Lager ein?

       

      Die AfD will Alkoholiker*innen und andere Süchtige einsperren. Warum nicht auch Raucher*innen, die gehen auch das Risiko ein zu sterben. Was ist mit Skifahrer*innen oder anderen Extremsportler*innen wie Basejumper*innen.

       

      Sperren wir selbstmordgefährdete Menschen demnächst auch in ein Lager und lassen es von einer Miliz bewachen?

       

      Nein, dieses Deutschland ist nicht "super" und auch nicht "das beste Deutschland aller Zeiten", solange immer noch keine*r den Arsch in der Hose hat und die Wahrheit offen und ehrlich zu sagen:

       

      Schon wieder werden KZ's gebaut.

  • Was genau macht die "libysche Armee" spürbar demokratisch legitimierter als die ak47-Schwinger eines anderen Strandabschnitts?