■ Italien: Mafia und Volk sagen nein zur Wahlrechtsänderung: „Niemand wählt!“
Eine solche Ohrfeige haben die große Parteien Italiens schon lange nicht mehr bekommen. Die Wähler und Wählerinnen haben die Volksbefragung zur Abschaffung des Verhältniswahlrechts zu Fall gebracht, indem sie es an der vorgeschriebenen 50prozentigen Wahlbeteiligung scheitern ließen. Daß die kleinen Parteien nun triumphieren, ist verständlich. Grüne wie Neokommunisten, Volkspartei wie Liga Nord, die zusammen nur auf 20 Prozent der Stimmen kommen, hatten bereits ihre Existenz bei Einführung des reinen Mehrheitswahlrechts gefährdet gesehen. Dennoch sollten gerade sie, die sicherlich das größte Potential an Erneuerungskraft Italiens repräsentieren, ihren „Erfolg“ nicht allzu unkritisch sehen. Die Italiener haben den Urnengang nicht deshalb verweigert, weil sie das bisherige Wahlsystem – 25 Prozent der Sitze werden per Verhältniswahlrecht vergeben – für besser halten. Der Boykott ist vielmehr Ausdruck für das politische Desinteresse der Bürger. Sie erwarten von ihren Parteien nichts, aber auch gar nichts mehr.
Vor sieben Jahren gab es bereits ein Wahlrechtsreferendum, das damals – trotz Boykottaufrufs der Sozialistischen Partei – 80 Prozent der italienischen Wähler mobilisiert hatte. Mit einer Zustimmung von fast 95 Prozent wurde der Sturz des alten Parteiensystems eingeleitet. Doch die Versprechen, mit dem gestärkten Mehrheitssystem größere politische Stabilität zu erreichen, erfüllten sich nicht. Statt der damals landesweit 30 Parteien gibt es inzwischen 45.
Aber da ist noch ein anderer, besonders beunruhigender Aspekt. Die überdurchschnittlich hohe Wahlabstinenz im Süden hat wesentlich zum Scheitern des Referendums beigetragen. Der Grund: Mafia und Camorra hatten dort die Parole „Niemand wählt!“ ausgegeben. Die Folge: Südlich von Neapel lag die Wahlbeteiligung bei unter 40 Prozent. Die Bosse bevorzugen das Verhältniswahlrecht, weil es mit ihm viel einfacher und kostengünstiger ist, die eigenen Leute auf guten Listenplätzen zu plazieren als sie für Direktwahlen aufzubauen. Die Rückkehr zur „ersten Republik“, wo Gruppen und Grüppchen – darunter auch manch eher düstere Zirkel – mehr Einfluß auf die Politik hatten als alle gewählten Organe, schreitet voran. Werner Raith
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