„Italian Brainrot“-Meme: Der verführerische Charme der Sinnlosigkeit
Das halbe Internet redet Italienisch und komische KI-Fabelwesen treiben ihr Unwesen. Was ist da denn schon wieder los?
Tralalero Tralala, Bombardiro Crocodilo, Trippi Troppi: Was klingt wie Kinderreime, ist die Frontlinie eines Social-Media-Trends, der absurder und erfolgreicher kaum sein könnte. Wer auf Tiktok und Co unterwegs ist, kommt an diesen Kunstfiguren nicht vorbei. Sie sind KI-generiert, halb Tier, halb Objekt, komplett gaga.
Tralalero Tralala ist ein Hai, dessen Flossen in Sneakern stecken. Trippi Troppi nennt sich ein Hummer mit Katzenkopf. Die seltsamen Wesen, von denen es noch viele weitere gibt, tragen alle lautmalerische, italienisch anmutende Fantasienamen, die irgendwo zwischen Pastamenü und Mario-Kart-Power-up schweben. Sie trenden weltweit als „Italian Brainrot“.
„Brainrot“ steht für den geistigen Verfall durch zu viel Social-Media-Konsum. Durch Scrollen und dauerhafte Überflutung mit belanglosen Inhalten soll die Aufmerksamkeitsspanne schrumpfen, Lesekompetenz sinken und das Denkvermögen leiden. Generation Tiktok verblödet.
Der Trend geht wahrscheinlich auf ein Video zurück, das Bombardiro Crocodilo, eine surreale Mischung aus Krokodilkopf und Bomber, zeigt. Eine italienische Männerstimme beschreibt das Geschöpf so: „Bombardiro Crocodilo ist ein fliegender Alligator, der Bomben über Kinder in Gaza und Palästina abwirft. Er glaubt nicht an Allah und liebt Bomben. Er nährt sich vom Geist deiner Mutter, und wenn du alles bis hierher übersetzt hast, bist du ein Vollidiot.“ Danach folgt ein sinnfreier Reim auf Italienisch und das war’s, der Clip ging viral.
Fabelwesen mit Backstory
Seitdem folgten Hunderte weitere Beiträge, in denen User ihre eigenen Fabelwesen kreierten, inklusive Backstory, Beziehungsgeschichten zu den anderen Wesen und eigenen Soundtracks. Die Wesen existieren nicht nur – sie leben in einem eigenen Mikrokosmos, der täglich weiterwächst.
Dabei gelten keine Regeln, Bezugnahme auf aktuelle Politik ist möglich, aber kein Muss, nur absurd soll es sein.
Was auf den ersten Blick wie Verblödung aussieht, hat für viele Beobachter auch künstlerisches Potenzial. Ist das, was da passiert, digitaler Dadaismus? Manche feiern die Bewegung als ironisches Protestgenre – eine absichtsvoll sinnlose Antwort der jungen Generation auf eine ebenso sinnlose Welt. Während draußen echte Kriege toben und das Klima kippt, begegnet die Gen Z der Absurdität der Realität mit noch mehr Absurdität.
Ist das Nonsens oder Kunst?
Viele tun diesen Nonsens als kreativen Tiefpunkt einer Jugend ab, die sowieso lost ist. Ist das fair? Wenn Kunststudierende ähnliche Bilder im Seminar zeigen würden, würde man über Bedeutungsgehalt, Intention und Ästhetik sprechen.
Tun es jedoch Tiktok-User in ihrer Freizeit mit KI statt Pinsel, gilt es sofort als geistiger Müll, so die Kritik an der Kritik in den Kommentarspalten. Dabei zeige sich doch gerade hier ein kreativer Umgang mit Technologie, Sprache und Popkultur.
Mit Italien hat der ganze Trend wenig zu tun. Die italienische Sprache, die zur Namensgebung inspiriert, macht ihn aber sicherlich so erfolgreich. Sie ist melodisch, eignet sich gut zum Reimen und löst bei vielen positive Gefühle aus, besonders dann, wenn man nicht versteht, was die KI-generierte Stimme faselt.
Zugegeben: „Bombardiro Crocodilo“ klingt besser als „Krokodilkopf-Flugzeug“. Mehr Erklärung ist nicht notwendig. Es ist Chaos, das sich selbst genügt und ein paar Sekunden Ablenkung schafft.
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