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Ist es nicht ein Wunder?!“

In Prenzlauer Berg ist gestern das einzige jüdische Lehrhaus Deutschland eröffnet worden. 1941 hatten es die Nazis geschlossen. Es soll vor allem Lehrer schulen. Finanziert wird es von einem amerikanischen Mäzen  ■   Von Philipp Gessler

Die würdigen Herren trafen sich am 30. Januar. Es ging um die Zukunft der Gemeindeschule: Sollte man sie in dieser Zeit der Wirren schließen oder vielmehr erst recht offen halten? Da platzte die Nachricht herein, dass Adolf Hitler zum Kanzler ernannt wurde – der jüdische Gemeindevorstand beschloss, die Schule nicht zu schließen. Das taten erst die Nazis einige Jahre später. Die Schüler und Lehrer wurden deportiert.

An dieses Geschehen erinnerte gestern Andreas Nachama, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, an einem besonderen Ort anlässlich eines besonderen Ereignisses: der Einweihung des ersten jüdischen Lehrhauses Deutschlands im Vorderhaus der Synagoge in der Rykestraße in Prenzlauer Berg – genau dem Ort, wo bis 1941 das letzte jüdische Lehrhaus Berlins stand.

Das Lehrhaus richtet sich an Jüdinnen und Juden. Hier sollen Lehrer ausgebildet werden, die jüdische Tradition in den aufblühenden Gemeinden Deutschlands vermitteln sollen. Außerdem gibt es Seminare und Kurse für interessierte Erwachsene und so genannte Bet-Midrasch-Programme für jeden, der/die sich – gemäß dem jüdischen Gebot des Studiums der Schrift – sein Wissen über die heiligen Bücher der Bibel, die Gesetze und den Talmud vertiefen will. „Learning by doing“ soll dabei das Prinzip sein: Die Schüler und Studenten sollen selber das Gelernte in ihre Gemeinden tragen.

Möglich wurde das vor allem durch den amerikanischen Mäzen Ronald S. Lauder. Seinen Namen trägt das Lehrhaus in Zukunft. Der 55-jährige Geschäftsmann und Diplomat hat eine Stiftung, die „Ronald S. Lauder Foundation“, gegründet, die sich um die Wiederbelebung des Judentums in Mittel- und Osteuropa müht. Lauder ist Sohn von Estée und Joseph Lauder, den Gründern des Kosmetikkonzerns Estée Lauder. Seine 1987 gegründete Stiftung arbeitet in fünfzehn Ländern des ehemaligen Ostblocks, unterstützt oder finanziert 59 Programme, die das jüdische Leben reaktivieren sollen.

Inspiriert wurde er dafür, als er 1986 US-Botschafter in Wien wurde und jüdische Gemeinden in Polen und Ungarn kennen lernte, woher seine Vorfahren kamen. Nur etwa 40.000 von ehemals 3,5 Millionen haben den Holocaust in Polen überlebt. Hitler dürfe nicht im Nachhinein siegen, erläutert er sein Motiv für die Gründung der Stiftung: Das tausendjährige jüdische Leben in Mittel- und Osteuropa dürfe nicht untergehen.

„Ist es nicht ein Wunder?!“, schwärmte der zukünftige Leiter des Lehrhauses, Joel Levy, in der prächtigen Synagoge an der Rykestraße. Die Synagoge ist eines von zwei jüdischen Gotteshäusern, die in der Pogromnacht 1938 nicht zerstört wurden – vor einer Brandstiftung schreckten die Nazis zurück, denn das Feuer hätte zu leicht auf die Nachbarhäuser übergreifen können. Erst 1998 wurde es der Gemeinde zurückgegeben. Sie finanziert die Renovierung des Lehrhauses mit und überlässt der Stiftung den vierstöckigen Backsteinbau für 20 Jahre mietfrei.

Wie wichtig diese jüdische Bildungseinrichtung für die Zukunft des Judentums in Deutschland ist, machte Paul Spiegel, der amtierende Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, deutlich: Zwar ist die Zahl der Judinnen und Juden hier zu Lande im zu Ende gehenden Jahrzehnt vor allem durch die Zuwanderung jüdischer Emigranten aus den Staaten der untergegangenen Sowjetunion von 30.000 auf etwa 80.000 gestiegen – keine andere jüdische Gemeinschaft in Europa wächst so schnell. Aber den meisten Zuwanderern, so Spiegel, „ist das Judentum neu, wenn nicht fremd“. Es gebe in den über 80 Gemeinden Deutschlands an „Defizit an Lehrern“, die das alltägliche Leben in der jüdischen Tradition vermitteln könnten. Deshalb sei dieses Haus „ein Geschenk an die zukünftige Generation“ und eine Ergänzung etwa der Jüdischen Hochschule in Heidelberg, die das praktische jüdische Alltagswissen wegen ihres wissenschaftlichen Anspruchs kaum weitergibt. Das Judentum, so ergänzte Nachama, könnten viele jüdische Eltern nicht mehr selbst vermitteln, sondern müssten es in Zukunft von ihren Kindern lernen.

Wie der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) sprach Levy deshalb von einem „historischen Moment für das jüdische Leben in Deutschland“ – und Lauder sagte es in unnachahmlich amerikanischer Art: „Wir bauen eine Welt wieder auf. Manche nennen es ein Wunder. Wir nennen es die Zukunft.“

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