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■ Ist es eigene Dummheit oder eine raffinierte publizistische Strategie der Union? Mit der Präsentation ihrer Uralt-Forderung nach einem Tempolimit haben die Grünen den Konservativen erneut eine Steilvorlage gegeben.Die Wahlkampf-Falle

Ist es eigene Dummheit oder eine raffinierte publizistische Strategie der Union? Mit der Präsentation ihrer Uralt-Forderung nach einem Tempolimit haben die Grünen den Konservativen erneut eine Steilvorlage gegeben.

Die Wahlkampf-Falle

Telefongespräch am Sonntag mit einem Sprecher der Grünen: „Haben Sie schon das Fax von Elisabeth Altmann gelesen?“ „Sie meinen die Forderung nach Tempolimit 100?“ „Nein, das mit Tempo 100 war Gila Altmann. Elisabeth Altmann hat sich davon distanziert und plädiert für Tempo 13O.“ „Wer ist Elisabeth Altmann?“

Nach den Pleiten der Grünen mit dem Benzinpreis von fünf Mark, dem Bosnien-Beschluß und den Äußerungen von Parteisprecher Jürgen Trittin zu öffentlichen Gelöbnissen sieht es nach der jüngsten Debatte um das Tempolimit so aus, als ob die Grünen dem Bundestagswahlkampf nicht gewachsen seien. Dabei sind sie hin- und hergerissen zwischen Selbstkritik und der Empörung darüber, Opfer einer Kampagne zu sein. Und wie, fragen sie sich, können wir künftig ähnliche Pannen vermeiden? Die Inhalte offensiver vertreten oder gerade das Gegenteil, wie es ein Wahlkampfprofi der Grünen kurz und bündig empfiehlt: „Schnauze halten!“? Fassungslos stehen einige Grünen der Tatsache gegenüber, mit ihrer altbekannten Forderung nach einem Tempolimit nun auf einmal negative Schlagzeilen zu ernten. „Ich verstehe die ganze Aufregung nicht“, ist von vielen Abgeordneten zu hören. Schließlich habe Gila Altmann doch nur gesagt, was im Parteiprogramm stehe.

Die finanzpolitische Sprecherin Christine Scheel vermutet eine „Kampagne vom Konrad-Adenauer-Haus“. Der parlamentarische Geschäftsführer, Werner Schulz, spricht von einer „Kampagne der Bild-Zeitung“. Wiederum andere vermuten die gezielte Zusammenarbeit von Bild und CDU, gemanagt durch den ehemaligen Bild-Chef und heutigen Kanzlerberater Hans-Hermann Tiedje. Bild habe sich gezielt das Wahlprogramm der Grünen vorgenommen, suche nach Reizthemen und versuche sie kurz vor der Wahl zum Nachteil der Grünen hochzuspielen. Ist es etwa ein Zufall, daß gestern Bild auf der gleichen Seite, auf der über das Tempolimit berichtet wird, eine Anzeige der CDU geschaltet ist: „Grüner Großangriff auf alle Autofahrer“? Aber natürlich, das sehen alle ein, sind nicht nur die anderen schuld. Mußte sich Elisabeth Altmann, die bildungspolitische Sprecherin, unbedingt von den Äußerungen der eigentlichen Verkehrsexpertin Gila Altmann distanzieren? Die ist „durchgeknallt“, heißt es selbst aus der eigenen Partei. Und mußte Gila Altmann wirklich „in die Falle“ der Bild-Zeitung tappen? „Was sollen wir denn machen?“ fragt Christine Scheel. „Uns zu inhaltlichen Fragen nicht konkret äußern, wie es die SPD macht?“ So tief seien die Grünen noch nicht gesunken. Schließlich müsse es doch wohl selbst im Wahlkampf möglich sein, zu seinen Positionen öffentlich zu stehen. Das sehen aber nicht alle in der Partei genauso. Joschka Fischer hatte intern immer wieder gepredigt: „Haltet die Klappe, was Zahlen betrifft!“ Manche gehen sogar noch weiter: Im Wahlkampf, sagt ein hochrangiger Grüner, sei keine vernünftige Debatte über Inhalte möglich. „Deshalb muß man auch mal das Wasser halten können.“

Andere in der Partei warnen aber vor einer solchen Einstellung. Der Verkehrsexperte Albert Schmidt befürchtet, daß das Wahlprogramm aus Opportunismus verwässert werden könnte. Und Werner Schulz sagt: „Wenn wir die Schnauze halten, dann bedeutet das Tauchstation.“ Man dürfe sich auch nicht zu sehr nach der Mehrheitsmeinung richten. „Die Grünen dürfen ihr Image nicht von der CDU bestimmen lassen.“ Fraglich nur, ob sich alle Grünen konstruktiv an einem Wahlsieg beteiligen wollen. Es gebe zu viele „Profilneurotiker“, urteilt ein Grüner, der es wissen muß. Einige Abgeordnete hätten das Problem, jahrelang nicht wahrgenommen worden zu sein, und würden deshalb jede Gelegenheit nutzen, ihre Positionen rüberzubringen. Siehe Halo Seibold, die vorgeschlagen hatte, die Zahl der Auslandsflüge einzuschränken. SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder habe nicht ganz unrecht, wenn er den Grünen „Lust am Untergang“ bescheinige. Den Grünen fehle jedenfalls der unbedingte Wille zur Macht. Und es klingt bedauernd, als er hinzufügt: „Wir haben halt keinen Franz Müntefering, der bei der SPD jeden Tag die Tageslosung ausgibt.“ Markus Franz, Bonn

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