Ist die Entsendung von Stefan Raab zum Grand Prix ein Skandal?: Eine Melodie für Millionen
Der Sieg des Interpreten Stefan Raab mit dem Titel „Wadde Hadde Dudde da“ und die ganze Vorentscheidung zum europäischen Liedstreit Grand Prix Eurovision hat Menschen empört (z. B. Gottlieb Wendehals und Patrick Lindner). Das hat Fragen aufgeworfen. Fragen, mit denen sich Deutschland in den nächsten Tagen beschäftigen muss. Was hat das alles zu bedeuten? Erstens: Für ein Land, in dem ja irgendwo auch Weimar liegt und dortselbst in einer Gruft Er-hatte-wirklich-mehr-im-Kopf-Goethe? Zweitens: Für das deutsche Liedgut?
Was die Frage nach der deutschen Kulturnation betrifft: Die hat schon ganz anderes überstanden (z. B. Gottlieb Wendehals und Patrick Lindner). Dieter Thomas Heck ist sozusagen der Ehrenvorsitzende und Altkanzler dieses Genres. Ihm ist das Lachen über Raab nach eigener Aussage – arrrgz – längst im Halse stecken geblieben. Wadde Hadde Dudde da habbe midde Grand Prix nichts zu tun, sagte der besorgte Heck empört. Was allerdings, so muss man fragen, ist das für ein Demokratieverständnis? 57,4 Prozent von 1,52 Millionen AnruferInnen haben ihre Stimme für Raab abgegeben. Das ist eine absolute Mehrheit, wie sie heutzutage höchstens noch Roland Koch in der hessischen CDU überbietet. Im Gegensatz zum Votum für diesen Barden („Tränen lügen doch“) ist jenes für Raab aber repräsentativ für den Willen und den guten Geschmack der Gesamtbevölkerung. Wadde Hadde ist eindeutig eine Melodie für Millionen. Das heißt nicht, das ewige Argument der Schlagerbranche sei hier umzudrehen und Masseninteresse automatisch mit Qualität gleichzusetzen. Es heißt bloß, dass der Schlagerkonservatismus kein einziges Argument mehr hat für die Behauptung, „Deutschland“ könne sich „so“ unmöglich beim Grand Prix vertreten lassen. „Wadde Hadde Dudde da“ ist die zeitgemäße Form, mit der sich der Deutsche am 13. Mai in Europa präsentiert sehen will.
Manche vermuten, der nicht unbegabte junge Künstler halte der Gesellschaft „den Spiegel vor“ (SZ). Ach, wirklich? Die Botschaft, sagt hierzu befragt der gelernte Metzger, liege im Text. Richtig. Der Popsong Wadde Hadde ist für uns Menschen in dieser gewiss nicht leichten Zeit einfach ein größerer Halt und klarerer Wegweiser als etwa der zweitplatzierte Schlager („I believe in God“) einer Blinden. Und dabei ist Wadde Hadde sogar noch eindeutig deutsch. Aber „ein bisschen geistesgestört“ (Heck)? Immer noch besser als ein bisschen Frieden.
Peter Unfried
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