Ist Pornografie jetzt Pop? (7): Wer sich nicht wehrt, hört verkehrt
Der politische Druck von Schwulenverbänden hat gezeigt: Es wäre falsch, Homophobie als Ausdruck einer "fremden" Musikkultur zu entschuldigen.
Lasst die Tunten in der Hölle schmoren!", singen Silbermond bei jedem ihrer Konzerte als umjubelte Zugabe. Seit Wochen stehen Tokio Hotel mit "Schieß die Schwuchtel ab!" an der Spitze der deutschen Hitparade. Und Herbert Grönemeyer feiert bei "Wetten, dass ?" ein rauschendes Comeback mit einem Remake seines größten Hits: "Männer sind nur Männer, wenn sie keine Männer küssen." Nein, keine Angst, so weit sind wir in Deutschland noch nicht. Aber so ähnlich darf man sich die Verhältnisse in Jamaika vorstellen.
Texte dieser Preisklasse gehören zum Alltag einer Gesellschaft, in der Schwule und Lesben gefährlich leben, gewalttätige Übergriffe und Lynchmorde inklusive. Dabei ist doch die Musik so wundervoll! Anders als andere Nationen mit ausgeprägter Homophobie, von Pakistan bis Polen, hat die Karibikinsel ja einen beglückenden Einfluss auf die westliche Popmusik gehabt: Ska, Roots-Reggae und Dancehall. Aus Jamaika kommt die Blaupause für das, was wir heute Hiphop nennen. Verglichen mit deutschen "Pornorappern", stehen Dancehall-Künstler wie Beenie Man oder Buju Banton gut da: Sie haben die bessere Musik und belästigen uns nicht mit ihren doofen Texten - das Jamaican English versteht hierzulande ja (fast) kein Mensch.
Mit der Gnade des Nixkapierenmüssens ist es allerdings vorbei, seitdem schwul-lesbische AktivistInnen publik machen, was die da so singen. "Shoot dem like birds", singt Elephant Man. "Bun a fire pon a puff and mister fagoty" (lasst die Schwulen im Feuer brennen), fordert Bounty Killer. Und Beenieman will "Gays" exekutieren und Lesben aufhängen. All diese Künstler sind in Jamaika Superstars und auch international erfolgreich.
Die Initiative "Stop Murder Music" kämpft seit Jahren gegen die Diskriminierung von Homosexuellen im Pop. Im Juli brachten sie Beenie Man, Sizzla und andere dazu, den sogenannten Reggae Compassion Act zu unterzeichnen. In diesem Abkommen erklärten die Stars, ab sofort jegliche Schwulenhetze zu unterlassen. Obs hilft?
Es ist nicht die erste Absichtserklärung dieser Art, und populäre Stars wie Buju Banton und Bounty Killer haben ihre Unterschrift verweigert. Doch auch wenn das Papier nur Makulatur bleibt: Ohne die regelmäßigen Interventionen von schwul-lesbischen Pressuregroups wie OutRage! oder GLAAD (Gay and Lesbian Alliance Against Defamation) wäre das Wissen um homophobe Texte im Reggae und Hiphop weniger verbreitet, die Künstler stünden nicht unter solchem Legitimationsdruck.
OutRage!, GLAAD und andere Gruppen verbuchen es als ihren Erfolg, dass der US-Rapper Eminem vor sechs Jahren zum Versöhnungskonzert mit Elton John auf die Bühne trat. Zuvor hatte GLAAD die Grammy-Nominierung des Rapstars wegen dessen homophober Äußerungen kritisiert. Nach einigem Hin und Her fand Eminem Worte des Bedauerns, und Elton John erteilte ihm die Absolution. Es war übrigens das zweite Mal, dass die schwule Queen der Weltsociety als Friedensstifterin und Beichtvater in Sachen sexual politics tätig wurde. Eltons erster Klient war Axl Rose. Der war mit seiner Rockband Guns n Roses in den Achtzigern so populär wie später Eminem, auch mit Texten wie: "Immigrants and faggots they make no sense to me." Schwule und Einwanderer würden bloß Krankheiten verbreiten, sang Axl Rose damals. So viel zum Mythos vom Emanzipatorischen des (weißen) Rock. Dieser Mythos strahlt umso heller, je mehr Rapper sich schuldig machen, und geistert unausgesprochen auch durch die aktuelle Debatte.
Wenn Popkritiker zu Recht auf die komplizierten Codes von Hiphop hinweisen und auf die selbstregulierenden Kräfte des Marktes hoffen - "das Einzige, was gegen Hiphop hilft, ist anderer Hiphop", so Tobias Rapp -, dann tun sie das in dem sicheren Wissen, dass andere den dirty job übernehmen werden: mit dem Finger auf die Übeltäter zeigen, sie der üblichen Ismen und Phobien überführen (Sex, Homo, Rasse), Prozesse anstrengen, der ganze mühselige Kram. Wenn die Graswurzelarbeit Früchte getragen hat, wenn genug Aufmerksamkeit da ist, dann springen Politiker auf den Zug auf - und machen sich mit ihrer notorischen Popahnungslosigkeit prompt zur leichten Beute versierter Popkritiker. Porno, Rap, Videospiel: immer dasselbe Spiel mit dem Pläsier der niederen Stände.
Dabei würde ja schon die Erkenntnis helfen, dass die Sechzigerjahre vorbei sind. Das Einfordern von Respekt, das Beharren auf Gehörtwerden, auf Sichtbarkeit war ein Leitmotiv der Emanzipationsbewegungen dieser Ära. Davon erzählen Songs wie "Respect" (Otis Redding/Aretha Franklin) und James Browns "Say it loud Im black Im proud", Ralph Ellisons Jahrhundertroman "Der unsichtbare Mann" oder Martin Luther Kings Behauptung: "Damn right I am somebody" (Verdammt noch mal, ich bin doch jemand). Im postfordistischen Alltag ist das verkommen zum hilflosen Selbstermächtigungsmantra des "überflüssigen" Mannes, der längst rausgefallen ist aus den Wertschöpfungsketten. Der (über)kompensiert seine gekränkte Männlichkeit mit hypervirilen Slogans und Posen aus dem Zeichenrepertoire von Hiphop und Porno. Gekränkte Männlichkeit auf Jamaikanisch heißt diminished masculinity und gilt als Ursache der Homophobie - als Produkt einer Gesellschaftsordnung, die vielen Männern aus den unteren Klassen das Gefühl der Nutzlosigkeit vermittelt. Was Jamaikas "Überflüssigen" bleibt, ist ihr Körper, ihre Potenz - und das seit "400 Years" (Bob Marley).
Die Kolonialherren haben ihre schwarzen Sklaven angetrieben, möglichst viele Kinder mit möglichst vielen Frauen zu zeugen, um das Humankapital zu mehren. Wer keinen Nachwuchs produziert, gilt als Schwächling oder, noch schlimmer, als schwul. So schlüssig diese Erklärung historisch sein mag, so fatal ist ihr Transfer in die Gegenwart. Wohlmeinende deutsche Reggaefans verkaufen Homophobie als "Bestandteil der jamaikanischen Kultur", kolonialismusgeschädigt forever. Und Kulturen, zumal fremde, verlangen bekanntlich "Respekt". Wie einst die Religion, das süße Opium, stiftet heute der "Stolz auf die eigene Kultur" nicht nur den Überflüssigen das bisschen "Identität", das ihnen über den Verlust akzeptabler Lebensbedingungen hinweghelfen soll. Im Diskursdickicht um vermaledeite Kampfbegriffe wie Kultur, Identität und Stolz wird ein schwammiger Multikulturalismus zum Wegbereiter für reaktionären Ethnopluralismus.
Exemplarisch kommentierte das US-Hiphopmagazin The Source schon vor Jahren die Debatte um Buju Bantons Schwulenkillerhit "Boom Bye Bye". Eine Entschuldigung des Sängers "bei der mächtigen Gaylobby" sei "eine Kapitulation vor der imperialistischen Macht, die dem grimmig-stolzen jamaikanischen Volk einen unwillkommenen Lebensstil aufzuzwingen versucht".
Da haben wir den Salat: Homophobie ist der neue Antiimperialismus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland