Israel Kobi Tzafrir erlässt den halben Preis, wenn Juden und Araber am selben Tisch miteinander essen: Humus gegen Hetze
von Susanne Knaul
Ein Fast-Food-Restaurant, dicht an der Autobahn zwischen Tel Aviv und Haifa. „Humus-Bar“ nennt sich die friedliche Oase ganz hinten rechts im ersten Stock des Einkaufszentrums von Kfar Vitkin, einem israelischen Dorf. Erst vor vier Monaten hat Kobi Tzafrir, der studierter Steuerberater ist, den Laden übernommen. Jetzt macht er Schlagzeilen mit seiner Aktion „Humus für den Frieden“. Er will dem wachsenden Misstrauen, der Angst und dem Zorn zwischen Juden und Arabern in Israel etwas entgegensetzen. Wegen der aktuellen Anspannung „und der gegenseitigen Hetze“ kassiert er nur noch den halben Preis für eine Mahlzeit, vorausgesetzt Juden und Araber sitzen gemeinsam am Tisch. „Die ganz große Mehrheit der Bevölkerung will einfach nur in Frieden leben“, sagt der 32 Jahre alte Restaurantchef. „Wir sind schließlich alle Menschen.“
Messerattentate und gezielte Angriffe mit Autos bestimmen seit Anfang des Monats die Titelblätter der Tageszeitungen. Knapp ein Dutzend Israelis sind durch Übergriffe palästinensischer „Lone Wolf“-Angreifer ums Leben gekommen, und 60 Palästinenser starben infolge von Angriffen oder bei Demonstrationen. Die oft noch sehr jungen arabischen Einzeltäter finden ihre Opfer in Jerusalem, im besetzten Westjordanland und in den Städten Israels. Fast alle zahlen selbst mit dem Leben für ihre Aktion, mit der sie Palästina von der Besatzung befreien wollen und das Gegenteil erreichen.
Israels Regierung mobilisiert die Sicherheitskräfte, errichtet neue Sperren und ruft die eigene Bevölkerung dazu auf, sich zu bewaffnen, um bereit zu sein, wenn wieder ein Palästinenser das Messer zieht. Rund 5.000 Israelis beantragen täglich den begehrten Waffenschein. Die Panik im Land forderte ihren Zoll, als ein afrikanischer Flüchtling versehentlich für einen Terroristen gehalten wurde. Ein Video zeigt, wie israelische Zivilisten mehrere Kugeln auf den schon am Boden liegenden unschuldigen Mann abfeuern.
Vorerst nur per Facebook macht die Humus-Bar die Aktion vom Preisnachlass für jüdisch-arabische Essgemeinschaften publik. „Ich bin noch nicht dazu gekommen, ein Schild anzufertigen“, sagt Tzafrir. Er trägt Dreitagebart, schwarzes T-Shirt und Jeans. Bislang kommen nur gemischte Gruppen, wenn sie sich vorher schon kannten. „Meine Vorstellung war, wenn eine jüdische und eine arabische Familie zum Essen kommen, die Tische zusammenzuschieben.“ Die Reaktionen auch aus dem Ausland seien überraschend positiv. „Jedes Mal, wenn hier was passiert, heißt es: Ach, die Welt ist antisemitisch, aber das stimmt überhaupt nicht.“
Falafel und Pommes frites
Tzafrir gibt zu, früher selbst ein „von Vorurteilen und Stereotypen geprägtes Bild“ der arabischen Bevölkerung gehabt zu haben, die rund ein Fünftel aller israelischer Staatsbürger ausmacht. Gleich nach dem Abitur meldete sich der junge Kobi zum Wehrdienst in einer Kampfeinheit. „Ich war damals noch ein Kind“, sagt der Israeli, der inzwischen selbst zwei kleine Kinder hat. „Heute ist mir klar, dass es immer nur ganz wenige aus der Gruppe sind, die bereit dazu sind, Gewalt anzuwenden.“
Wenigstens neun von zehn Leuten, die ins Einkaufszentrum kommen, sind jüdisch. Hamburger und Sushi sind im unteren Geschoss erhältlich. Eine Frau in ihren Sechzigern mit drei Enkeln, die sie im Minutentakt der Reihe nach abküsst, entscheidet sich für die Humus-Bar. Die drei Jungen lassen die Liebkosungen ihrer Oma willig über sich ergehen und prüfen die Speisekarte. Außer Humus, Falafel und Pommes frites gibt es würzigen Saubohnenbrei und Limonade aus frischen Zitronen. Tzafrir berichtet über einen festen Kundenkreis aus der Umgebung und von Leuten, die auf der Fahrt Richtung Norden in Kfar Vitkin Zwischenstopp machen, „darunter auch Araber“.
Über 2.000 Kommentare stehen auf der Facebook-Seite der Humus-Bar. Fast alle sind positiv. „Achla Humus“, schreibt Mosab Isa: „Toller Humus.“ Dabei benutzt er ein arabisches Wort, „achla“, notiert es aber mit hebräischen Buchstaben. Effi, Ali und Adam, zwei Juden und ein Araber, posten ein Bild von sich. Gleich daneben ist das Foto eines Kibbutzniks zu sehen, der Arm in Arm mit einem arabischen Christen aus dem Dorf Dschisch posiert. Eine weltweite Friedensbewegung könnte entstehen, hofft ein optimistischer Besucher der Seite: „Humus for Peace“ für alle Juden und Araber, die gemeinsam ihr Brot in den Erbsenbrei tunken. Nur ganz selten werde auch Kritik laut gegen die „überflüssigen Anbiederungsversuche“ der jüdischen Israelis.
„Ob Humus die Völker wieder verbinden kann?“, zweifelt Itai Telbaum, der eben einen Teller pürierter Kichererbsen, frische Zwiebeln, Petersilie und Tehinasoße verspeist. „Es sind kleine Portionen hier, eine kostet 30 Schekel (7 Euro). Ich glaube kaum, dass die Leute jetzt nach einem Araber suchen, mit dem sie herkommen können, um 15 Schekel zu sparen.“ Telbaum, Anfang dreißig, hat es sich in der „Sula“ gemütlich gemacht, einer Sitzecke mit dicken Kissen und Matratzen, die verteilt sind auf einem Podest und hölzernem Lattenrost. Er klappt sein Notebook auf und telefoniert ohne Pause. Seit Beginn der neuen Gewaltwelle sei er vorsichtiger geworden. „Wenn ich einen Araber sehe, ja, dann habe ich ihn heute schneller in Verdacht, dass er mich angreifen will“, gibt er zu. Die Stimmung schlage allgemein um. „In Jaffa hissen sie jetzt die palästinensische Flagge“, schimpft er. „Wäre es vielleicht ruhiger, wenn es dort auch so eine Humus-Aktion gäbe?“
Bislang konnten die internationalen Vermittlungsbemühungen allenfalls eine temporäre Lösung bewirken. US-Außenminister John Kerry drängt die Führungen in der Region, den Ton zu zügeln, und Jordaniens König Abdallah treibt die Idee voran, Überwachungskameras auf dem Tempelberg in Jerusalems Altstadt zu errichten, um Provokateure zu stoppen und zu bestrafen. Die Gefahr neuer Eskalation dürfte damit indes noch längst nicht gebannt sein.
Jeder lebt in seiner Welt
„Ich habe keine arabischen Freunde“, sagt Itai Telbaum und bestellt die Rechnung für seinen Humus. „Der Konflikt ist viel komplexer. Der lässt sich nicht mit Geld lösen, hier geht es um Ideologien, um Gebiete und Land – das ist viel stärker als Humus.“ Der junge Geschäftsmann glaubt nicht, dass er jemals arabische Freunde haben wird. „Jeder lebt in seiner Welt“, sagt er, „und jeder ist mit seinem Volk solidarisch“.
Während Tzafrir hinter der Theke den Erbsbrei würzt, räumt eine quirlige, junge Kellnerin mit dunklen Locken geschickt die schmutzigen Teller ab und nimmt neue Bestellungen auf. Hier sitzen zwei Männer in tadellos weißen Hemden, dort drei junge Frauen, die sich bei Cola und Pommes Frittes vom Einkaufsbummel erholen. Im Hintergrund singt Madonna über die materialistische Welt. Nur keine Nachrichtensendungen, denn im Radio geht es fast immer nur um neue Überfälle, gewalttätige Auseinandersetzung oder um die Genesungsprozesse der Opfer von der letzten Messerattacke.
Aus der Küche weht mal eine leichte Brise frittierter Falafeln, mal der Duft der im Ofen aufgebackenen Pitabrote. Indirekte Beleuchtung sorgt für warmes Licht. Tzafrir wird sich nicht so schnell entmutigen lassen. Wenn die Humus-Bar in Kfar Vitkin erst einmal läuft, will er ein neues Geschäft aufmachen, dann allerdings in einer Gegend, „in der auch mehr Araber wohnen“.
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