■ Israel: Auch eine Große Koalition wäre keine Lösung: Ein Land ohne Opposition
Freitag mittag, gleichzeitig. In Har Homa, wo 6.500 Wohnungen für israelische Siedler gebaut werden sollen, demonstrieren israelische Friedensaktivisten, die sich durch den Ring der Militärsperren geschlichen haben, gegen den Bau. Ein paar dutzend Kilometer weiter südlich, in Hebron, wütet eine neue Intifada, mit Steinen, Tränengas, Brandbomben und Gummikugeln. Und in Tel Aviv, 65 Kilometer westlich, setzt sich ein Vater von vier Kindern an einen Tisch in der Mitte des voll besetzten Cafés „apropos“ am Ben Gurion Boulevard und sprengt sich in die Luft. Drei tote Frauen, Dutzende Verwundete. Die erste islamische Selbstmordaktion seit einem Jahr.
Das war vorauszusehen. Erst rollten die Bulldozer bei Har Homa, dann folgte das Attentat. Terror, Intifada, alte und neue Formen der Konfrontation. Das war so klar wie die Sonne über Jerusalem.
Ein neues Kapitel hat begonnen. Der „Friedensprozeß“ von Oslo ist so gut wie tot; die israelische Regierung will vorerst nicht mehr mit den Palästinensern reden. Denn Arafat, sagt Netanjahu, ist schuld, weil er den Terroristen „grünes Licht gegeben“ habe. Ein Irrtum. Wenn ein grünes Licht leuchtete, dann auf Har Homa – auf dem ersten Bagger.
Wer je Mitglied einer Terror- beziehungsweise Befreiungsorganisation war (und in meiner Jugend war ich das), weiß, daß solche Gruppen nur mit der Unterstützung eines großen Teiles der Öffentlichkeit operieren können. Mao traf den Nagel auf den Kopf, als er schrieb, daß Guerrillas wie Fische im Wasser sind.
Genau ein Jahr lang gab es keinen Terror, weil die meisten Palästinenser, trotz aller Rückschläge, an den Frieden glaubten. Darum konnten Arafat und seine Sicherheitsdienste den Terror verhindern. Har Homa hat nun den palästinensischen Hoffnungen den Todesschlag versetzt. Die Stimmung kippte – und Hamas konnte mit Terror auf Zustimmung und Popularitätsgewinn hoffen. Das war das grüne Licht.
Nun lautet die Frage: Wo ist die israelische Opposition? Wo ist Schimon Peres, der die Wahlen nur mit dem Bruchteil eines Prozentes verloren hat? Er steht vor Netanjahus Tür und bettelt, in die Regierung aufgenommen zu werden. Auch ein großer Teil der Arbeitspartei wartet darauf mit heraushängender Zunge. Sie beteuert, für die Siedlung in Har Homa zu sein, höchstens sei „der Zeitpunkt ungünstig“. Die Meretz-Partei begnügt sich mit Kommentaren. Nur ein paar Friedensgruppen gehen auf die Straße, demonstrieren, warnen und sind allein ziemlich machtlos. Peres hat die politische Opposition lahmgelegt, Netanjahu von links nichts mehr zu fürchten. Nur von rechts, wo die Fanatiker aller Schattierungen mehr und mehr Siedlungen fordern.
So kann zu einer Großen Koalition kommen – aber nur zu einer, in die die Arbeitspartei auf allen vieren hineinkriecht und dementsprechend so gut wie einflußlos sein wird. Die traurige Wahrheit ist: Mit Netanjahu trägt ein vollkommen verantwortungsloser Politiker heute die alleinige Verantwortung für das Schicksal des Friedens im Nahen Osten. Uri Avnery
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