Islamkritikerin Taslima Nasreen: Bengalische Feuer
"Frauen haben keine Heimat" heißt das jüngste Buch von Taslima Nasreen. Die Schriftstellerin selbst ist auf der Flucht vor religiösen Extremisten und hat eine Odyssee durch Indien hinter sich.
Taslima Nasreen ist wieder auf der Flucht. Seit die Schriftstellerin 1990 mit ihrem ersten Roman "Schande" berühmt wurde, hat sie immer wieder ihre Aufenthaltsorte gewechselt: auf der Flucht vor Fatwas, auf der Suche nach Sicherheit und einer sprachlichen Heimat. Todesdrohungen vertrieben die junge Ärztin und Lyrikerin zuerst aus ihrem Heimatstaat Bangladesch nach Europa. Sie lebte in Deutschland, Frankreich, England. Schweden gewährte ihr Asyl und einen Pass, sie versuchte, sich in den USA niederzulassen. Sie fand keine Ruhe. Dort, wo sie nicht physisch bedroht wurde, sah sie ihr "kulturelles Überleben" gefährdet, und dort, wo sie sich zu Hause fühlte, musste sie mit Fatwas leben.
Indien schien schließlich die Lösung des Dilemmas zu sein: ein liberales und multikulturelles Land, mit einem Bundesstaat, in dem Bengalisch gesprochen wird, dessen Hauptstadt Kalkutta das Zentrum der bengalischen Kultur ist. Zudem hat Westbengalen seit 30 Jahren eine kommunistische Regierung - eine Garantie, könnte man denken, für den säkularen Schutz von Kulturschaffenden, gerade solchen, die von Religionsfanatikern und Frauenhassern verfolgt werden.
Doch in Indien müssen auch die Kommunisten Wahlen gewinnen, wollten sie dieser noblen Haltung zum Durchbruch verhelfen. Das ist nicht leicht. Die patriarchalischen Religionsfanatiker können mit ihrer Stimmungsmache um den angeblich drohenden Verlust religiöser Identität Millionen von Wählern mobilisieren. Zudem sind die westbengalischen Kommunisten in einem Dilemma: Sind nicht auch die frauenfeindlichen und engstirnigen Muslime eine von Hindu-Fanatikern bedrohte Minderheit, die Schutz braucht - ein bisschen Nachsicht für ihre antiliberale Haltung inbegriffen?
Und sind die Kommunisten nach 30 Jahren Machtausübung nicht selber zu Apologeten des Status quo geworden? Bereits 2003 verbot die Regierung in Kalkutta Nasreens vierten Band der Autobiografie "Dwikhondito" (Entzweigespalten). Sie hatte darin frauenfeindliche Passagen im Koran angegriffen und wagte es, freizügig über sexuelle Beziehungen zu reden und - besonders schlimm - einen Faden zwischen Religion und sexueller Repression zu spinnen. Nasreen hat zudem ein beträchtliches Talent, sich Feinde zu machen; gab sie im Buch doch intime Details von indischen Intellektuellen preis, Mitgliedern des linken Kalkutta-Establishments.
Dass sie ein Jahr darauf dennoch ein indisches Visum erhielt, verdankte Nasreen nicht den Kommunisten, sondern ausgerechnet der nationalistischen BJP-Regierung. Diese predigt zwar ihre Hindu-Version von religiösem Hass, und ihre Anhänger waren eben dabei, den größten indischen Maler, M.F. Husain, mit Vandalenakten und Todesdrohungen aus dem Land zu treiben, weil er - ein Muslim! - Hindu-Göttinnen in "unzüchtigen" Posen dargestellt hatte. Doch was nun zählte, war, dass die BJP mit Nasreen einen gemeinsamen Feind teilte - den fanatischen Islam - und dass die Schriftstellerin in ihrem ersten Erfolgsbuch "Lajja" die Diskriminierung der Hindu-Minderheit in Bangladesch aufs Korn genommen hatte.
Angst vor echter Liberalität verriet die Regierung, als sie Nasreen nur ein sechsmonatiges Aufenthaltsvisum ausstellte. Ähnlich verhielt sich die angeblich liberal-säkulare Kongressregierung, die seit nun drei Jahren dieses Visum jeweils um sechs Monate verlängerte. Die Kommunisten verbargen sich hinter dem Rücken ihres Regierungspartners, doch auch ihnen war die Anwesenheit des temperamentvollen Gastes nicht geheuer. So zeigten sie sich für die Lobgesänge immun, die Nasreen regelmäßig über Kalkutta ausschüttete, und sie weigerten sich auch, ihr Gesuch für eine indische Staatsbürgerschaft zu unterstützen.
Daraufhin ging nun ihre islamischen Gegner zum Angriff über. Der Ober-Mullah der Großen Moschee von Delhi lobte ein Preisgeld aus für denjenigen, der ihr das Gesicht schwärzen würde. Der Ittehad Millat Council setzte das Kopfgeld auf Nasreen auf eine halbe Million Rupien (8.600 Euro) fest. Im August wurde sie in Hyderabad - bei einer Pressekonferenz und vor laufenden Kameras - von Politikern einer islamischen Partei tätlich angegriffen.
Schließlich fand eine Gruppe in Westbengalen die wirksamste Formel: Kommunistische Parteikader hatten in einem Konflikt über industrielle Landnahme arme Bauern angegriffen, die Muslime waren, und sich da- mit eine gefährliche Blöße gegeben. Als ein Minorities-Forum am 21. November in Kalkutta auf die Straße ging, verband es den Protest dagegen mit Volten gegen Taslima Nasreen.
Die Regierung geriet in Panik. Noch am gleichen Abend wurde Nasreen in eine schwarze Burka gesteckt und in ein Flugzeug nach Jaipur verladen, Hauptstadt des BJP-regierten Gliedstaats Rajasthan. Doch auch die BJP verließ der Mut, und am nächsten Tag wurde sie in ein Gasthaus nach Delhi gebracht. Als auch dort Proteste drohten, wurde sie vom Geheimdienst an einen unbekannten Ort entführt. Schließlich sah sich die Regierung gezwungen, dem unwürdigen Schauspiel ein Ende zu machen. Sie bot ihr Asyl an, allerdings mit der Bedingung, in Zukunft ja nicht mehr "die Gefühle der Bevölkerung" zu verletzen. Nasreen kapitulierte. Sie gab bekannt, sie habe drei Seiten in ihrer Autobiografie eliminiert. "Sogar im säkularen Indien bin ich gezwungen, Kompromisse zu machen."
Dabei ist es durchaus möglich, dass der jetzige Eklat der Schriftstellerin nicht ungelegen kommt. Sie hat mehrfach gesagt, wie sehr ihr die Unsicherheit halbjährlicher Aufenthaltsgenehmigungen zusetzt. Es gibt sogar Stimmen, die behaupten, sie habe mit kontroversen Äußerungen - etwa über die Frauenfeindlichkeit des Propheten Mohammed - die Öffentlichkeit geradezu provoziert. Doch dagegen steht die Beharrlichkeit, mit der sie menschenfeindliche Orthodoxien schon immer aufs Korn genommen hat, ebenso wie ihre Bereitschaft, dafür Verfolgung und Heimatlosigkeit in Kauf zu nehmen.
"Frauen haben keine Heimat" lautet der Titel ihres jüngsten Buchs. Die bengalische Schriftstellerin führt in diesen Tagen den existenziellen Beweis ihrer Behauptung. Bengalische? Das stimmt im sprachlichen Sinn, denn Nasreen spricht und schreibt in Bengali. Aber von der Staatszugehörigkeit her stimmt es seit über zehn Jahren nicht mehr - Bürgerin von Bangladesch ist Taslima Nasreen nicht mehr, nachdem die Regierung in Dhaka sich geweigert hatte, ihren Pass zu verlängern.
Seither hat sie einen schwedischen Pass. Aber macht sie dies zu einer Schwedin? Ja, folgt man dem Argument indischer Passbeamten, die kaltblütig-bürokratisch behaupten, es sei unmöglich, einer schwedischen Staatsbürgerin in Indien Asyl zu geben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!