: Irrationale Horrorvorstellung
Klonen von Menschen? Das darf nicht sein! Da sind sich auch Linke einig. Aber ihre Argumente gegen die Genkopien sind untauglich – nämlich biologistisch und reaktionär
Beim Klonen kompletter Menschen zeichnet sich ein breiter Konsens ab: Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt es als Horrorvorstellung intuitiv ab. Dieser Konsens fehlt allerdings bei der medizinischen Verwendung von Stammzellen. Neben radikalen Kritikern finden sich hier auch viele Befürworter; während etwa Justizministerin Däubler-Gmelin gegen einen Import ist, wirbt Wissenschaftsministerin Bulmahn dafür, dass der Bundestag einer Einfuhr am 30. Januar zustimmt. Dass die Nutzung von Stammzellen nicht ebenfalls prinzipiell verdammt wird, ist erstaunlich, handelt es sich doch um eine Vorstufe des Klonens.
Für Skepsis gegenüber der Stammzellenforschung und das menschliche Klonen gibt es durchaus rationale Gründe: Insbesondere die Heilsversprechen für chronisch Kranke sind leicht zu entlarven, seit Anfang der 90er-Jahre mit identischen Argumenten die Gentherapie promotet wurde, in die heute niemand mehr einen Cent investieren würde. Dennoch: Die Breite der gesellschaftlichen Ablehnung des Klonens deutet an, dass die Gründe hierfür zumindest sehr heterogen sein dürften. Es lohnt sich, genauer hinzuhören.
Die zahlenmäßig größte Fraktion dürfte sich dem klerikalen Standpunkt anschließen – wenn auch womöglich seltener gottgewollt als naturgegeben. Für beide ist das Herstellen von genetisch identischen Kopien eines Menschen ein Verbrechen gegen die zivilisatorische Tradition, wobei es gleichgültig ist, ob der Gott dreifaltig ist oder Darwin heißt. Es bleibt anzumerken, dass diese Ablehnung weniger monotheistisch als vielmehr christlich begründet ist. So befürworten einige orthodoxe jüdische Thoragelehrte explizit das Klonen als (bislang theoretische) Form der menschlichen Vermehrung, allerdings nur bei Unfruchtbarkeit, da es einer künstlichen Befruchtung vorzuziehen sei. Warum? Die künstliche Befruchtung riskiert einen zufälligen Inzest, der als schwere Sünde gilt – und der auch aus moderner medizinischer Perspektive in der Tat vermieden werden muss: Inzucht erhöht das Risiko für angeborene Erkrankungen erheblich, wie sich bis heute in zahlreichen seitenastfreien Familienstammbäumen im (christlichen) Süden der USA anschaulich betrachten lässt.
Das strategisch größte Gewicht hat derzeit die Fraktion der Molekularbiologen, die das Klonen von Menschen mehr schlichter- als schlechterdings für unmöglich halten. Wortführer dieser Gruppe ist derzeit Rudolph Jaenisch, dessen Forschungsgruppe nördlich von Boston eindrucksvoll nachweisen konnte, dass ein Mechanismus namens „Epigenetic Silencing“ in der Lage ist, lebenswichtige genetische Informationen nach einer bestimmten Lebensspanne der Zelle abzuschalten. Dies führt dazu, dass menschlichen Klonen nach kurzer Zeit zahlreiche genetische Informationen fehlen würden, die ein natürlich entstandenes Kind noch hätte – Konsequenz für den fötalen Klon: dead on arrival. Unfreiwillige Unterstützung erhalten solche Forschungsresultate durch Ian Wilmut, den Schöpfer des Klonschafes Dolly, der eingestehen musste, dass hunderte seiner Anläufe zuvor erfolglos verlaufen sind. Insgesamt aber sind diese technischen Facts offensichtlich ungeeignet, eine prinzipielle Ablehnung des Klonens abzuleiten. Wie die meisten bisherigen Probleme der molekularen Medizin wird auch dieses irgendwann lösbar sein.
Damit bleibt die Ablehnung des Klonens aus emanzipatorischer oder linker Perspektive. Analysen aus feministischer Tradition basieren auf der Selbstbestimmtheit des weiblichen Körpers, welche künstliche Befruchtung (IVF) und vorgeburtliche Diagnostik ebenso ablehnt wie die Reduktion der Frau zur maschinengleichen Gebärmutter eines beliebigen Embryos. Diese in sich schlüssigen Analysen lassen offen, ob es ebenso verwerflich sein würde, einen Klon anstelle eines (genetisch natürlich zusammengesetzten) IVF-Embryos auszutragen. Wenn ja, warum? Insgesamt bietet die feministische Theorie wenig Hilfe, was die Bewertung menschlicher Klone angeht.
Sie beruht – wie überhaupt das Unbehagen progressiver Menschen angesichts von Klonen – unausgesprochen auf der Annahme, dass es sich um exakte Kopien eines Individuums handeln würde. Diese Annahme ist zutiefst biologistisch und reaktionär. Nehmen wir an, ein visionärer Berliner Mitbürger und Nationalsozialist hätte 1945 einige Zellen des sterbenden Herrn Hitler an geheimen Orte asserviert. Diese Zellen würden heute von der Firma Advanced Cell Technologies, die kürzlich die erfolgreiche Erzeugung von menschlichen Klonen meldete, für eine genetisch identische Kopie des Zellspenders verwendet. Eine typischerweise unzureichend informierte Leihmutter würde den Klon austragen und im trauten Kreise einer amerikanischen Ostküstenfamilie aufziehen. Wer nähme ernsthaft an, dass dieses Kind eine vergleichbare Biografie wie Hitler haben würde? Es hätte womöglich äußerliche Ähnlichkeit mit ihm, wobei selbst hier anzunehmen ist, dass Little Adolf deutlich übergewichtig und mindestens einen Fuß länger wäre als sein genetischer Vorfahre. Ansonsten würde er J. Lo besser als Mary J. leiden können und nach der Highschool wahrscheinlich Aufenthaltsanträge von hispanischen Einwanderern auf irgendeiner Behörde in Massachusetts wenig zuvorkommend bearbeiten. Er könnte auch in die SM-Szene von Washington, D. C., abwandern und dort Dick Cheney beim nächsten Herzanfall zusehen. Wie auch immer, das genetische Material des Klons bestimmt in keinem Fall seine Biografie.
Die Ablehnung von geklonten Menschen beruht wesentlich auf der Annahme, dass das Leben eines jeglichen Menschen genetisch vorbestimmt sei. Diese Annahme ist nicht nur politisch bekämpfenswert, sondern wissenschaftlicher Unfug. Zweifelsfrei gibt es Eigenschaften, die ausschließlich genetisch determiniert, also vererbt sind. Dazu gehören etwa die Augenfarbe oder im weiteren Sinne die Hautfarbe. Doch das meiste ist von zahlreichen Umweltfaktoren abhängig. Wissenschaftlich hilfreich sind Untersuchungen von eineiigen Zwillingen (sozusagen natürliche Klone), die getrennt aufgewachsen sind. Lediglich im Aussehen ähneln sich diese Menschen häufig stark; ansonsten zeigen sich bei derart getrennten Zwillingen gelegentlich ähnliche Interessen oder andere Parallelen, keinesfalls liegen jedoch Replikanten der jeweilig anderen Persönlichkeiten vor. Die soziale Entwicklung des Menschen ist eben nicht genetisch determiniert, sondern eine permanent modifizierende Interaktion mit der persönlichen Umwelt.
Insgesamt basiert die progressiv formulierte Ablehnung von menschlichen Klonen auf der Annahme, sich selbst nicht wiederholen zu dürfen. Dies bedeutet zwangsläufig, dass wir das fremdbestimmte Dasein akzeptiert haben, da wir ohnehin keine Kontrolle darüber mehr haben, sondern lediglich dem Ruf unserer Gene folgen. Wer dies annimmt und unterstützt, hat ausreichend Grund, menschliche Klone abzulehnen – schon angesichts des drohenden Fortbestands der eigenen erbärmlichen Existenz. Wer nicht, braucht bessere Gründe.
MICHAEL RISTOW
Autorenhinweis:Der Autor lebt in Berlin und ist als Arzt und Molekularbiologe tätig.
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