#IranRevolution2022: „Wir sind einig wie nie“
Viele halten die Proteste im Iran für den Anfang vom Ende des Mullah-Regimes. Auch im Exil ist die Hoffnung groß: vier Berliner*innen erzählen.
Wir legen alle Differenzen beiseite
24, ist von Beruf Social Media Managerin. Privat engagiert sie sich für einen freien Iran vor allem über soziale Medien wie Instagram. Aktuell hat sie eine online-Petition mit konkreten Forderungen an die Bundesregierung startet, die von der Ampel aktive Solidarität mit den Protestierenden im Iran fordert.
„Viele iranische Kommentatoren bezeichnen das, was gerade im Iran passiert, als eine Revolution. Viele sagen, dass die Bilder, die wir in den sozialen Netzwerken sehen, nicht annähernd das widerspiegeln, was tatsächlich passiert, und es viel größer ist. Sie sagen auch, dass die Polizei noch viel brutaler vorgeht als das, was wir sehen. Auch für mich sieht es wie Revolution aus: Die Menschen auf der Straße sind nicht zufrieden mit Reformen, sie wollen tatsächlich, dass die Islamische Republik gestürzt wird. Bei früheren Protesten war das etwas anders: 2019 ging es um die wirtschaftliche Lage, 2009 um die Wahlfälschung.
Jetzt war der Auslöser zwar der Mord an Zhina Amini, aber inzwischen geht es nicht mehr um „Frauenrechte“ und den Zwangs-Hijab – es geht um das ganze System. Der Unterschied ist auch, dass jetzt alle geeint sind: Man sieht auf den Straßen keine Flaggen mehr, nicht die eine Gruppe, die den Schah will, oder die andere, die was anderes will. Es sind wirklich alle komplett geeint aus den verschiedenen sozialen Schichten, aus den verschiedenen Städten.
Es ist natürlich problematisch, wenn die Regierung das Internet im Iran abschaltet. Die Menschen haben schwieriger Zugriff auf die sozialen Medien um von ihren Protesten zu berichten. Es ist aber nicht unmöglich. Viele schaffen es mit VPN, und gerade wird viel gesprochen über Snowflake: Damit können Sie und ich, also wir alle, den Menschen im Iran ganz legal Internetzugang bieten.
Seit über einer Woche gibt es in Berlin wie in vielen deutschen Städten Solidaritätskundgebungen von diversen Veranstaltern. Die größte fand vorigen Freitag am Brandenburger Tor mit rund 4.000 Menschen statt. Auch in den kommenden Tagen sind Demos geplant, unter anderem am Mittwoch um 11 Uhr am Brandenburger Tor: eine Kundgebung vom Deutschen Frauenrat. Um 17 Uhr gibt es am Brandenburger Tor zudem eine Kundgebung der Menschenrechtsorganisation Hawar Help, eine der Rednerinnen ist Daniela Sepehri. Am Samstag um 16 Uhr findet am Kudamm Ecke Joachimsthaler Straße die Kundgebung des Bündnis für Menschenrechte und Freiheit im Iran statt. Als Rednerin zugesagt hat die Frauenrechtlerin Seyran Ates, mehrere MdBs sind angefragt.(sum)
Was noch anders ist: Auch wir Exil-Iraner sind uns einiger als je zuvor. Hier in Berlin gibt es viele iranische Gruppen, einige haben schon Kundgebungen organisiert. Ich selbst habe vorige Woche zuerst alleine eine Mahnwache organisiert und vorigen Freitag dann mit einer Gruppe von Aktivist*innen aus ganz Deutschland. Wir haben gesagt, es ist jetzt nicht die Zeit, darüber zu sprechen, was nach der Islamischen Republik kommt, ob Shah, Demokratie, Kommunismus oder was. Wir legen all diese Differenzen beiseite und machen gemeinsam eine große Demonstration, weil wir alle das gleiche Ziel haben: das Regime muss weg!
Aber es wäre schön, wenn sich noch mehr Herkunftsdeutsche unseren Protesten anschließend: Es geht im Iran ja nicht um Nationalitäten, es geht um Freiheit. Und wir in Deutschland wissen doch, wie es ist ohne Freiheit und Menschenrechte. Es gibt hier Menschen, die noch die DDR oder gar den Nationalsozialismus erlebt haben. Aber eigentlich müsste die gesamte Weltgemeinschaft jetzt die Menschen im Iran in ihrem Kampf nach Freiheit unterstützen.“
Frau, Leben, Freiheit
ist Journalist und Blogger („Iran Appeasement Monitor“), engagiert sich bei der Initiative „Stop the bomb“ und ist Mitbegründer und Sprecher der „Green Party of Iran“. Die Partei hat einen Fokus auf Umweltschutz, Minderheiten- und Menschenrechte, kritisiert aber den deutschen Ansatz der Verhandlungsbereitschaft mit dem iranischen Regime (etwa über ein Atomabkommen).
„Das Besondere an den aktuellen Protesten: Dieses Mal lassen die jungen Menschen, die auf die Straßen gehen, insbesondere die Frauen, nicht los. Obwohl die Regierung die Repressalien weiter erhöht hat, das Innenministerium damit droht, Menschen zu verhaften, bleiben die Menschen auf der Straße und rufen „Frau, Leben, Freiheit“ (jin, jiyan, azadi) und „Wir wollen keine islamische Republik“! Darum denke ich: Wenn der Westen die Proteste konsequent unterstützt, könnte dies der Anfang vom Ende des Regimes sein.
Für Menschen in Deutschland ist die Situation sicher schwierig einzuschätzen: Die hiesigen Medien berichten wenig, ausländische Journalist*innen gibt es keine im Iran und das Regime schaltet immer wieder das Internet ab. Aber wir Oppositionellen – ich bin Sprecher der Grünen Partei im Iran – haben unsere eigenen Netzwerke, wir sind mit Menschen im Iran in ständigem Kontakt. Zudem sind viele der Demonstrant*innen selbst eine Art Journalisten geworden, sie nehmen Videos auf, manche machen sogar Direktübertragung von den Protesten. So wissen wir leider, das inzwischen mindestens 200 Demonstrant*innen getötet wurden und es mindestens 8.000 bis 9.000 Verhaftete gibt.
Ich hoffe darum sehr, dass die Bundesregierung endlich aktiv wird. Außenministerin Annalena Baerbock hat jetzt Gelegenheit zu zeigen, was die von ihr proklamierte „feministische Außenpolitik“ konkret sein kann. Sie könnte sich dafür einsetzen, dass die iranischen Vertreter aus der UN-Kommissionen für Frauenrechte rausgeworfen werden. Sie könnte auch die Terror-Botschaft des Iran hier in Berlin schließen lassen. Auch wäre es gut, wenn Deutschland das Thema in den UN-Sicherheitsrat bringt: Zwar werden Russland und China einer Verurteilung des Iran wohl kaum zustimmen, aber die westlichen Länder könnten einheitlich und gemeinsam für Menschenrechte und Freiheit im Iran Stellung beziehen.
Was die Menschen hier in Berlin, in Deutschland tun können: Geht zu den Demonstrationen und Kundgebungen, zeigt eure Solidarität! Ich habe vor wenigen Tagen mit einem Jugendlichen in Teheran telefoniert, er ist 16 und geht mit seinen Freunden demonstrieren, und sagt: „Wir brauchen Solidarität, wir brauchen Hilfe! Berichte bei dir, was hier los ist.“ Die Menschen im Iran haben keine Waffen, keinen Zugang zu Medien – nichts als Hoffnung auf das Ausland.
Und das ist dieses Mal auch anders: Die verschiedenen Oppositionsgruppen, auch hier im Ausland, halten zusammen. Natürlich haben Monarchisten, Liberale, Linke, Grüne verschiedene Vorstellungen, was nach dem Regime kommen soll. Aber wir Iraner haben verstanden, dass wir gegen dieses faschistische Regime zusammenhalten müssen.“
Die Frauen haben das erste Wort
76, ist Journalistin und Buchautorin. Die studierte Politikwissenschaftlerin floh 1983 aus dem Iran nach Berlin, hat den Verein iranischer Flüchtlinge mitbegründet. Heute ist sie aktiv im Verein Transparency for Iran, Träger des Iran Journals.
„Es sieht so aus, als ob es kein Zurück mehr gibt im Iran. Es wird nie mehr so sein wie vor der Ermordung von Zhina Amini, die von der so genannten Sittenpolizei zu Tode geprügelt wurde. Das ist, denke ich, der Unterschied zu früheren Unruhen: Es geht jetzt um Menschen, die gar keine Forderungen gestellt haben. Zhina Amini hat nicht gegen den Zwangsschleier protestiert. Sie hat einfach so ausgesehen, wie sie ausgesehen hat.
Darum ist sie zum Symbol geworden: Sie war jung und unschuldig, sah aus wie die meisten Frauen, die auf Teheraner Straße laufen – und ist einfach so brutal ermordet worden. So gehen nun Frauen aus allen Schichten auf die Straße, stellen sich sogar auf Polizeiautos und zeigen ihre langen Haare. Die Männer unterstützen sie, aber die Frauen haben das erste Wort in dieser Bewegung.
Die Proteste haben auch in Berlin Auswirkungen, die noch nie dagewesen sind. Ich lebe seit 38 Jahren in der Stadt und habe noch nie eine Demonstration gesehen wie vorigen Freitag am Pariser Platz, wo über 4.000 Menschen zusammen kamen. Die meisten Iraner dort habe ich noch nie gesehen: Das sind junge Menschen, Studierende und andere, die dieses Regime einfach satt haben. Sie haben es im Iran nicht mehr ausgehalten. Sie sind nicht politisch, sie sind einfach unzufrieden. Auch die Emotionalität ist neu: Viele haben von Herzen die Parolen wie „jin, jiyan, azadi“ gerufen. Sogar Menschen, die einfach vorbei gelaufen sind, wurden irgendwie angesteckt.
Wir älteren Exil-Iraner waren ja oft politisch sehr zerstritten. Die Jüngeren werden auch noch Meinungsverschiedenheiten austragen, wenn sie politisch weiter machen – aber in dieser Phase sind sich alle einig: Zuerst muss das Regime weg. Was dann kommt, werden wir sehen. Es ist auch eine Stärke dieses Widerstands, dass er keine zentralen Führungsfiguren, keine Köpfe hat – denn die kann man abschneiden und dann ist alles lahmgelegt. Die jungen Leute machen alles über die sozialen Netzwerke und es klappt hervorragend. Dabei wird sich mit der Zeit herauskristallisieren, wer das Zeug zur Führungspersönlichkeit hat.
Wir im Westen können das am besten unterstützen, wenn wir öffentlich Solidarität zeigen – und wenn das vor allem Prominente tun, wenn Künstler, Sportler, Politiker zum Beispiel Videobotschaften veröffentlichen. Die iranischen Politikern sind jetzt schon sichtlich verunsichert, das zeigen die Bilder, die kursieren. Wenn sie merken, dass die Welt Notiz nimmt, dass Leute, die man auch im Iran kennt, sich an die Seite des Volkes stellen, wird das sehr helfen.“
Ein gemeinsames Ziel
46, ist Politikwissenschaftler und seit 20 Jahren in verschiedenen Kontexten aktiv gegen das Regime.
„Der große Unterschied, den ich zu früheren Aufständen sehe, ist, dass heute eine ganz andere Einheit unter den Iranern herrscht. Ich erlebe das auch hier in Berlin: Ganz unterschiedliche Gruppierungen sind bereit zusammenzustehen, ihre eigenen politischen Ansichten hinten anzustellen, weil wir ein gemeinsames Ziel haben: ein freies Iran und die Zerschlagung der Islamischen Republik. Noch viel wichtiger ist, dass viele Iraner, die sich bislang raus gehalten haben oder der Meinung waren, sie seien gar nicht so „politisch“, auch zu den Demonstrationen gehen.
Es gibt, wie man jetzt merkt, eine sehr starke, lebendige Szene unter jungen Menschen mit iranischen Wurzeln, Studierende und Nicht-Studierende, die keiner Organisation zuzurechnen sind und selbst aktiv werden. Daher die Vielzahl von Veranstaltungen in den letzten Tagen mit teils erstaunlich hohen Teilnehmerzahlen. Das liegt natürlich auch am Thema Frauenrechte, das auch Herkunftsdeutsche und Menschen anderer Nationalitäten anzieht.
Für die Iraner in Iran sind solche Zeichen der Solidarität total wichtig. Es ist eine zentrale Bitte, die ich und viele andere Iraner über ihre Verwandten, ihre Freunde hören: Seid unsere Stimme. Lasst nicht zu, dass die Mullahs uns einfach abschlachten und keiner es mitkriegt.
Aber auch jenseits dieser moralischen Gründe und der Menschenrechte gibt es handfeste Gründe, warum die Menschen im Westen, auch hier in Berlin, ein Interesse daran haben, dass dieses Regime fällt: Denn die Islamische Republik Iran hat massiv zu den großen Flüchtlingsbewegungen der letzten Jahre beigetragen. So wäre das Assad-Regime ohne die 100.000 iranischen Soldaten, die aus Teheran nach Syrien geschickt wurden, sicher binnen Wochenfrist zerfallen. Es wäre gar nicht zu diesem schrecklichen Krieg in Syrien gekommen, mit all den Folgen.
Die Islamische Republik Iran ist auch ein Hauptfinanzier des internationalen Terrors. Organisationen wie die Hisbollah oder die Hamas sind erwiesenermaßen eine Erfindung der Islamischen Republik Iran, die dann den Terror nach Europa exportiert haben. Auch das Mykonos-Attentat 1992 in Berlin ging ja auf das Konto der Islamischen Republik – und es gibt Dutzende solcher Beispiele in Europa. Ein Ende des Mullah-Regimes wäre also gut für unser aller Sicherheit.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich