Iran im Fokus: „Gerechtigkeit heißt nicht Rache“
Beim MENA Prison Forum im HAU2 treffen Schmerz, Widerstand und der lange Kampf um Gerechtigkeit auf die aktuellen politischen Krisen.

Wenn das MENA Prison Forum zur Veranstaltung lädt, scheint die Welt zu brennen. Die erste Ausgabe der Reihe „Understanding Prison“ fiel auf wenige Tage vor Assads Fall in Syrien. Auch diesmal ist die Veranstaltung – diesmal zu Iran – brandaktuell: Wenige Tage zuvor hatte ein völkerrechtswidriger israelischer Militärschlag ranghohe Kommandeure der Islamischen Republik getötet und einen neuen Krisenzyklus ausgelöst.
In Berlin hat sich an diesem Abend ein diverses Publikum im HAU2 versammelt. Etwa 150 Menschen, viele aus der iranischen Diaspora, sind gekommen, um „Surviving the Death Committee“ von Nima Sarvestani zu sehen – eine Dokumentation über das Massaker an politischen Gefangenen in Iran in den 1980er Jahren und über das historische Urteil gegen Hamid Noury, der 2022 in Schweden zu lebenslanger Haft verurteilt wurde – als einer der ersten Vertreter des iranischen Repressionsapparats, der im Ausland zur Rechenschaft gezogen wurde. Drei Monate später wurde er im Zuge eines Gefangenenaustauschs mit Iran freigelassen.
Der Film ist eine persönliche Suche nach Gerechtigkeit. Sarvestani verlor 1988 seinen Bruder. Gemeinsam mit dem Überlebenden Iraj Mesdaghi kämpft er jahrzehntelang für Gerechtigkeit.
Nach dem Film tobt der Schmerz. Die Moderatorin des Abends, die Journalistin Gilda Sahebi, nennt den Film eine „historische Dokumentation einer lange vergessenen Geschichte“. Auf dem Podium äußert sich Sarvestani zur aktuellen Lage: „Ich bin froh, dass Kommandeure getötet wurden – mir ist egal, wer sie getötet hat.“ Ein Satz, der im Saal detoniert.
Der Schmerz tobt
Eine junger Mann erhebt sich. „Ich komme aus einer Familie, die im Gefängnis saß. Ich bin angewidert, dass ihr diesen Film nutzt, um einen Krieg zu rechtfertigen, bei dem Menschen sterben. Es ist mir nicht egal, wer Gerechtigkeit bringt.“ Kurz darauf steht auch eine Frau auf: „Unsere Familien leben in Angst. Sie haben kein Benzin, um Teheran zu verlassen. Und ihr sprecht hier von Freude?“ Dann: „Gerechtigkeit heißt nicht Rache.“
Mehrere Menschen verlassen den Saal. Sahebi bleibt ruhig. „Was hier gerade passiert, ist ein Spiegelbild dessen, was draußen passiert“, sagt sie. „Die Regierungen hassen einander – die Menschen tun das nicht.“
Inmitten des Aufruhrs meldet sich ein junger Mann aus Syrien. „Ich war selbst im Gefängnis unter Assad. Ich bin glücklich, dass er gefallen ist – aber hat es Gerechtigkeit gebracht? Die Art und Weise, wie ein Regime fällt, ist entscheidend dafür, was danach kommt. Auch ich wünsche mir das Ende des iranischen Regimes – aber nicht durch Israels Hände.“ Seine Worte bringen etwas Ruhe in den Raum.
Der Abend ist Teil der Veranstaltungsreihe des MENA Prison Forums, kuratiert in Zusammenarbeit mit medico international, HAU Hebbel am Ufer und dem European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Die Reihe will künstlerische, juristische und biografische Zugänge zu Gefängnissen, Folter und politischer Repression in der MENA-Region eröffnen.
Patrick Kroker vom ECCHR betont auf dem Podium: „Ich glaube an die Kraft des Rechts. Gerade jetzt, wo das Völkerrecht weltweit unter Beschuss steht.“ Er stellt klar: „Wenn wir dieses Recht aufgeben, was bleibt uns dann?“
Der Abend schließt mit den Worten von Regisseur Nima Sarvestani auf die Frage, was Gerechtigkeit für ihn bedeutet: „Alle, die für diese Verbrechen verantwortlich sind, sollen sich vor einem echten Gericht verantworten. Ich bin gegen jede Form der Tötung. Ich will einen Prozess.“ Vielleicht ist das der Satz, der an diesem Abend am meisten braucht, um zu wirken.
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