piwik no script img

■ Iran droht Taliban wegen Geiseln mit militärischer GewaltSäbelrasseln

Quod licet Jovi, non licet bovi? Die Welt ist aus den Fugen. Der „Jupiter“ der neuen Weltordnung, die USA, muß sich sorgen, daß ihm einer der Zugochsen nacheifern und seinerseits Blitze auf Feinde schleudern könnte. Genau davor hatten Experten gewarnt, nachdem US-Präsident Bill Clinton Cruise Missiles auf Terroristen in Afghanistan und eine Arzneimittelfabrik im Sudan feuern ließ: daß das Mittel militärischer Vergeltungs-, Präventiv- und sonstiger Schläge wieder salonfähig werden könnte. Und jetzt nimmt sich auch noch ausgerechnet einer der absoluten Outcasts der internationalen Gemeinschaft, der „Schurkenstaat“ Iran, dieses Recht heraus. Sollte er wirklich gewaltsam gegen die afghanischen Taliban vorgehen, um als Geiseln verschleppte Landsleute zurückzuholen, wäre den Mullahs wahrscheinlich sogar Beifall gewiß. Immerhin genießen die Taliban ob ihrer Politik der systematischen Verletzung der Menschen- und insbesondere der Frauenrechte kaum irgendwo Sympathien.

Aber droht wirklich Krieg zwischen Iran und den Taliban? Auch in Teheran wird man sich fragen müssen: Was brächte eine Befreiungsaktion, ein Vergeltungsschlag oder sogar ein direkter Einmarsch? Ersteres würde voraussetzen, daß die Geiseln noch am Leben sind und man wüßte, wo sie sich befinden. Beides aber ist fraglich. Zudem erinnern sich gerade die Iraner an die gescheiterte Befreiung der US-Botschaftsgeiseln unter US-Präsident Jimmy Carter. Ein Vergeltungsschlag könnte zum Tod auch der übrigen Geiseln führen, zudem ist der Überraschungseffekt schon lange dahin. Und was sollte ein Einmarsch bezwecken? Das Land zu besetzen ist unmöglich, das bekamen die Sowjets zu spüren. Soll nach der Formel „Pol Pot = Taliban“ ein international geächtetes Regime gestürzt werden? Die Vietnamesen mußten in Kambodscha erfahren, daß man dabei in einen Sumpf gerät, der einen nicht mehr so schnell freigibt.

Von der aktuellen Krise scheint folgender rationaler Kern übrigzubleiben: Irans Großmanöver sind ein Muskelspiel, der die Taliban und ihre Hintermänner in Pakistan dazu bringen soll, in der Geiselfrage Farbe zu bekennen. Pakistan, selbst mit Beratern in Afghanistan aktiv, ist nicht daran interessiert, daß sich auch Iran dort direkt engagiert. So könnte man ein Taliban- Bauernopfer bringen, vielleicht ein paar „Schuldige“ hinrichten, die die Iraner „ohne Befehl umgebracht“ haben. Pakistans Regierung hat Iran ja bereits versprochen, die Frage binnen einer Woche zu klären. Thomas Ruttig

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen