Irakische Armee im Aufbau: Auf der Jagd nach dem guten Soldaten
Seit fünf Jahren bemühen sich die USA um den Aufbau einer Freiwilligenarmee im Irak. Dem aber stehen noch allerlei Hindernisse entgegen.
"Waffen runter", zischt der amerikanische Ausbilder. Die irakischen Soldaten blicken kurz auf, halbherzig folgen sie dem Befehl. Am Ende ragen die Gewehrläufe kreuz und quer in alle Himmelsrichtungen. Auf dem Besmaya Range Complex, dem mit 240 Quadratkilometern größten Truppenübungsplatz der irakischen Armee im Nordosten von Bagdad, trainierten früher die Republikanischen Garden, Saddam Husseins Eliteeinheit.
Heute ist der Truppenübungsplatz das Kernstück der neuen irakischen Armee. Sämtliche Waffengattungen und Kampftechniken können hier trainiert werden. Doch die Armee von heute kämpft nicht gegen einen äußeren, sondern vor allem gegen den inneren Feind - Aufständische, Terroristen und Milizionäre, die das Land seit fünf Jahren scheinbar nach Belieben von einer Gewaltspirale in die nächste treiben. Die Soldaten müssen gegen einen Gegner auf engem Terrain, sprich im Nah- und Häuserkampf, bestehen. Geübt wird diese Form der Kriegsführung auf der Besmaya Range im "IED Village", wie es Colonel Darel Maxfield, der amerikanische Aufseher, nennt. IED (improvised explosive device) heißen im amerikanischen Militärjargon die Sprengsätze, mit denen die Extremisten ganze Straßenzüge, Autos und Häuser verminen.
In acht Schwierigkeitsgraden lernen die Soldaten, wie man Häuser sichert, eine Razzia durchführt, Verdächtige festnimmt und gegen die Feuerkraft des Gegners besteht. Wie zentral der Kampf gegen die heimtückischen Waffen im Irak ist, zeigt das Schulungszentrum zur Bombenentschärfung. Laut Maxfield ist es mit seinen diversen Trainingsmöglichkeiten ein Zentrum von Weltrang.
Viel Zeit, ihre Fähigkeiten zu trainieren, haben die Soldaten allerdings nicht. 26 Tage sind sie auf der Besmaya Range. Für die Soldaten von der 4. Brigade der 5. Armeedivision steht gerade die Ausbildung am M16 auf dem Programm, das Sturmgewehr soll künftig die Kalaschnikow ablösen. In wenigen Tagen ist die Übung abgeschlossen, dann geht es zurück in den Kampf. Die Soldaten im Alter von 19 bis 25 Jahren mit den wettergegerbten Gesichtern einfacher Bauersburschen geben sich kampfentschlossen. "Ich werde mein Land vor den Terroristen schützen", sagt Haider Hakki Ismail. "Wir werden Rache nehmen an der al-Qaida", stimmt Hadi Fayes ein.
Das Gros der irakischen Soldaten ist aber nicht bereit, in Gebieten außerhalb ihrer Herkunftsregion Dienst zu tun, was sie wiederum anfällig für die Einschüchterungen und Drohungen ihrer Gegner macht. Darüber hinaus erledigen einzelne Verbände nach wie vor das schmutzige Geschäft der Milizen. Berüchtigt ist die Muthanna-Brigade der 6. Armeedivision, die im südlichen Bagdader Stadtteil Dora tief in die Vertreibung von Sunniten verwickelt ist. Zwar hat sich die Disziplin insgesamt verbessert. Als Regierungschef Nuri al-Maliki Ende März zur Offensive gegen die Milizen und Mafiabanden in Basra blies, liefen ihm zu Hunderten die Soldaten und Polizisten davon. Manche verweigerten einfach den Befehl, andere liefen zu den Kämpfern des schiitischen Predigers Muktada al-Sadr über. Sadrs Gefolgsleute warfen Maliki vor, die Regierungseinheiten seien nichts anderes als der lange Arm der Badr-Brigaden von Malikis Koalitionspartner Abdulasis Hakim. Wie die Peschmerga-Einheiten der Kurden sind auch die Badr-Brigaden, die in den Achtzigerjahren von den iranischen Revolutionswächtern ausgebildet wurden, zum Teil in den staatlichen Sicherheitsorganen aufgegangen. Das letzte Wort haben bei den Badr-Brigaden wie bei den Peschmerga weiterhin die jeweiligen Parteichefs und nicht der Verteidigungsminister.
Im irakischen Verteidigungsministerium geht man davon aus, dass man frühestens Ende 2012 in der Lage sei, das Land vollständig zu kontrollieren, sagte unlängst Generalleutnant James Dubik, Chef des Multinational Security Transition Command - Iraq (MNSTC-I), das den Aufbau von Armee und Polizei koordiniert.
Eines der größten Probleme der Armee ist, dass sie bislang nur über wenige gut qualifizierte Kommandanten auf der unteren und mittleren Führungsebene verfügt. Um die Kampffähigkeit der Einheiten zu verbessern, hat US-Kommandeur General David Petraeus im vergangenen Jahr die Errichtung von gemeinsamen irakisch-amerikanischen Außenposten angeordnet.
Die Regierung setze die wenigen qualifizierten Offiziere nicht ein, um sie nicht im Kriegsgeschehen zu verheizen, klagen amerikanische Ausbilder. Die Hoffnung, dass sich die Lücke mit ehemaligen Offizieren aus der Saddam-Zeit schließen lässt, hat sich nicht erfüllt. Zwar öffnete die Regierung mit der Revision des Gesetzes über die Entbaathifzierung ihnen wieder die Pforten, doch haben bisher nur rund 1.600 altgediente Offiziere das Angebot wahrgenommen. Während der Offensive in Basra waren die Truppen jedoch so schlecht vorbereitet, dass die Amerikaner und Briten nicht nur für den Truppen- und Munitionsnachschub sorgen mussten, sondern sogar für die Verpflegung der Mannschaften. In Sadr City, der Hochburg der Sadr-Miliz in Bagdad, mussten US-Truppen am Ende das Heft wieder selbst in die Hand nehmen.
Bis heute ist Iraks Armee von Desertionen und "Schattenkämpfern" geplagt, Soldaten, die zwar auf den Lohnlisten stehen, aber nie zum Dienst erscheinen. Genaue Zahlen, wie viele Soldaten tatsächlich aktiv Dienst tun, gibt es deshalb nicht. Derzeit besteht die Armee aus 12 Divisionen, 48 Brigaden und 163 Battaillonen, die unter amerikanischer Federführung aufgebaut werden. Durch Korruption und Misswirtschaft sind nach Schätzungen von Rechnungsprüfern in der Vergangenheit mehr als 1 Milliarde Dollar versickert. Um zu verhindern, dass weiter Waffen in den Händen von US-Gegnern landen, haben die Amerikaner ein komplexes Kontrollsystem eingefügt. Jeder Soldat wird einer genauen Personenüberprüfung unterzogen, zudem werden seine Fingerabdrücke, Stimme und die Iris-Erkennung in einer Datenbank erfasst.
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