Irak: Erfolge auch durch irakisches Engagement
Im Irak, in Bagdad und in Anbar sinkt die Zahl der Toten. Das liegt an der US-Strategie und an Schutzwällen zwischen Sunniten und Schiiten.
KAIRO taz Die militärischen Ziele der Truppenaufstockung wurden im Großen und Ganzen erfüllt", sagte der amerikanische Oberkommandierende im Irak, General David Petraeus. Tatsächlich kann er in stark umkämpften Gebieten - der Hauptstadt Bagdad und der sunnitisch dominierten Provinz Anbar - Erfolge vorweisen. Um die Hälfte sollen etwa die Morde in Bagdad zurückgegangen sein.
In Bagdad konzentriert sich mindestens die Hälfte der 30.000 US-Soldaten, die seit Januar zusätzlich im Irak sind. Einer der Gründe für die neue Ruhe ist an vielen Orten zu sehen - in Beton gegossen. Die sunnitischen Viertel wurden in den letzten Monaten mit Schutzwällen umgeben. Anwohner sagen, dass sie sich in ihren Enklaven sicherer fühlen, aber Angst haben, andere Teile der Stadt zu besuchen. Fadlah Amin, eine Anwohnerin, bezeichnet ihre Wohnstätte als "großes, aber sicheres Gefängnis". Diejenigen, die Geld und gute Verbindungen haben, sind geflohen. Über vier Millionen Iraker befinden sich auf der Flucht, ein großer Teil davon stammt aus der Hauptstadt. US-Offiziere geben zu, dass Bagdad, eine Stadt in der einst 65 Prozent Sunniten lebten, heute zu 75 Prozent von Schiiten dominiert ist.
Auch das dürfte ein Grund für sinkende Opferzahlen sein. Die konfessionellen Säuberungen der schiitischen Milizen haben einheitliche Viertel geschaffen. Letztes Jahr waren die Sadr-Milizen aus dem schiitisch dominierten Osten der Stadt über den Tigris gekommen, um die Sunniten aus dem Nordosten zu vertreiben. Im Moment fahren sie mit ihren Säuberungsaktionen in den gemischten Vierteln im Südwesten der Stadt fort.
Auch in der Provinz Anbar gibt es Fortschritte. Die haben aber nur bedingt mit den zusätzlichen 4.000 US-Soldaten zu tun, die dort stationiert wurden. Tatsächlich hatte die relative Befriedung bereits vier Monate vor der Truppenverstärkung begonnen, als mehrere Stammesführer sich dort zum "Rat der Rettung Anbars" zusammengeschlossen hatten. Sie wollten dem Terror militanter Islamisten ein Ende bereiten. "Wir haben in drei Monaten das geschafft, was die Amerikaner nicht in vier Jahres zuwege gebracht haben", sagt der Stammesführer Ali Hatam stolz.
In Anbar kann kaum von Normalität gesprochen werden. Die Provinzhauptstadt Ramadi ist ebenfalls mit Betonmauern unterteilt, um den Verkehr und damit die Bewegung von potenziellen Autobombern zu kontrollieren. Stämme und Sicherheitskräfte können Erfolge vorweisen: In Falludscha sind die Opferzahlen seit Januar um ein Drittel gesunken. "Falludscha ist ruhig das stimmt", erklärt Scheich Salim, Mitglied des lokalen Rats sunnitischer Rechtsgelehrter, und führt fort: "Die Stadt ist praktisch tot und Tote sind ruhig."
Die Erfolge der sunnitischen Stammesfürsten zur Befriedung von Anbar sind gleichwohl zwiespältig. Die Stammesherrscher weigern sich strikt, mit der Regierung in Bagdad zusammenzuarbeiten. Der schiitische Premier Nuri al-Maliki selbst hat vor kurzem zugegeben, dass einige der Stammesfürsten, mit denen die Amerikaner kooperieren, für ihn niemals als Partner in Frage kämen. Die schiitischen Politiker in Bagdad sorgen sich, dass die sunnitischen Stammesherrscher in Anbar ihnen Konkurrenz machen könnten.
Auch die Meinungsumfragen zeichnen ein anderes Bild als das von General Petraeus transportierte. Ein von der britischen BBC in Auftrag gegebenes Stimmungsbild, für das 2.000 Iraker in allen 18 Provinzen des Landes befragt wurden, gibt der amerikanischen Truppenaufstockung kein gutes Zeugnis. Siebzig Prozent der Befragten gaben an, dass sich die Sicherheitslage seit der amerikanischen Truppenverstärkung im letzten halben Jahr verschlechtert habe. Eine Mehrzahl der Iraker wenden sich auch gegen jene, die ihre Existenzberechtigung im Irak darin sehen, für ihre Sicherheit zu sorgen. Sechzig Prozent der Iraker heißen Anschläge auf US-Truppen gut. Dabei ist ein klarer Unterschied zwischen den verschiedenen konfessionellen Gruppen zu verzeichnen: 93 Prozent der Sunniten, aber immerhin auch die Hälfte der Schiiten halten die Attacken gegen die Amerikaner für gerechtfertigt.
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