: „Intscheiden Muß Keiner“
Mehrere Bundesländer wollen für einige Tage keine Kosovo-Albaner in die Krisenregion abschieben. Einen Abschiebestopp bedeutet das noch lange nicht ■ Aus Berlin Patrik Schwarz
Der Minister hatte ferngesehen, und die Bilder hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Als Hardliner gilt der niedersächsische Innenminister Gerhard Glogowski (SPD), in Fragen der Ausländerpolitik zumal, doch die TV-Szenen aus dem Kosovo stimmten ihn wohlwollend gegenüber den Flüchtlingen aus der Region: „Wir dürfen uns nicht nur auf die Bilder verlassen, aber die sagen mir, du darfst da nicht hin abschieben“, sagte Glogowski im ZDF.
In derselben Sendung kündigte der Minister an, Niedersachsen werde die Abschiebungen von Kosovo-Albanern für eine Woche aussetzen. Das rot-grün regierte Nordrhein-Westfalen schloß sich der Entscheidung an, verlängerte die Schonfrist allerdings auf zwei Wochen. Inzwischen wollen auch Hessen, das Saarland und Brandenburg auf Abschiebungen verzichten, weitere SPD-Länder dürften folgen. Einmal mehr hat Gerhard Glogowski seine Rolle als Sprecher der SPD-Innenminister effektvoll genutzt: Er konnte in der Öffentlichkeit jene Eigenschaft demonstrieren, die ihm den Ruf eingetragen hat, Kronprinz von Gerhard Schröder für den Posten des Ministerpräsidenten in Hannover zu sein – Führungsstärke.
Bei Flüchtlingsorganisationen hält sich der Enthusiasmus über die Entscheidung der SPD-Minister in Grenzen, obwohl etwa der UNHCR und Pro Asyl angesichts der jüngsten Ausschreitungen serbischer Polizeikräfte im Kosovo dringend einen Abschiebestopp fordern. „Der Glogowski ist doch in einer bequemen Position, der riskiert doch politisch nix“, sagte ein Flüchtlingsexperte.
Der Grund für die Skepsis vieler Initiativen: Wohlweislich sprechen weder Glogowski noch seine Kollegen von einem förmlichen Abschiebestopp für Kosovo-Albaner. Obwohl nach Paragraph 54 Ausländergesetz jedes Bundesland einen Stopp im Alleingang und für die Dauer von sechs Monaten erlassen könnte, bedeuten die Entscheidungen von gestern nur eine ein- bis zweiwöchige Unterbrechung der laufenden Abschiebepraxis. So haben Niedersachsen und NRW ihren für heute geplanten allwöchentlichen Abschiebeflug für Kosovo-Albaner storniert. Die SPD-Länder wollen lediglich abwarten, bis das Auswärtige Amt einen neuen Bericht zur Lage in der Krisenregion vorlegt, und dann gemeinsam mit ihren CDU-Kollegen in der Innenministerkonferenz (IMK) über einen bundeseinheitlichen Abschiebestopp beraten.
„Damit delegieren die Minister einfach ihre politische Verantwortung“, kritisiert Michael Maier- Borst vom Bundesvorstand von amnesty international. „In der IMK sind die Verfahrenshürden so hoch, daß meist völlig unabhängig von der Menschenrechtslage entschieden wird.“ Schon 1996 hatten die SPD-Länder der CDU versprochen, im Gegenzug für eine Altfallregelung bei Asylverfahren auf ihr Recht zu einem Alleingang bei Abschiebestopps zu verzichten.
Nachdem gestern sowohl Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) als auch Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) einen bundeseinheitlichen Abschiebestopp erneut ablehnten, könnten sich die SPD-Minister in der IMK hinter dem Unions-Veto gut verstecken. IMK, meinte ein Spötter von der Basis, sei schließlich eine Abkürzung: Intscheiden Muß Keiner.
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